Blinder Hass
abgegeben. Die Chance, ihn zu treffen, war gleich null, aber … ich dachte, Sie sollten das wissen. Ich hab hier irgendwas in Bewegung gesetzt. Ich werd ein paar Notizen zusammenschreiben und Ihnen mailen. Nur für alle Fälle.«
»Verdammt noch mal, Virgil, passen Sie bloß auf sich auf«, sagte Davenport. »Wollen Sie Hilfe?«
»Schicken Sie mir nur diese Papiere, die Sandy zusammengestellt hat.«
»Sie haben Post bekommen«, sagte der Mann an der Rezeption, als Virgil gerade zum Frühstück gehen wollte, fischte einen Umschlag aus einer Schreibtischschublade und gab ihn ihm. Die Anschrift war getippt, kein Absender. Gestern in Bluestem abgeschickt. Virgil fasste den Umschlag am Rand an und ging in den Speisesaal. Dort schlitzte er ihn mit einem Buttermesser auf und ließ den Brief herausrutschen.
Sie sind auf dem Holzweg. Sehen Sie sich die Schulden von Bill Judd junior an und denken Sie an die Erbschaftssteuer. Sehen Sie sich Florence Mills Inc. an.
Das war alles - natürlich keine Unterschrift, und die Nachricht war getippt, nicht gedruckt. Wer könnte noch eine Schreibmaschine haben? Jemand, der alt war, wie zum Beispiel Gerald Johnstone, der Bestatter. Die Briefmarke war selbstklebend, also gab es da auch keine DNA-Spuren.
Erbschaftssteuer? Florence Mills? Hörte sich nach einer weiteren Aufgabe für Sandy an, wenn sie wieder da war.
Er frühstückte, ging zurück auf sein Zimmer, um seinen Aktenkoffer zu holen, und ging hinaus zum Truck; ging noch mal auf sein Zimmer, um seine Pistole zu holen, und wieder zum Truck; fuhr zur Stryker-Farm hinaus, an der Farm vorbei und um den Hügel herum.
Auf der Seite des Hügels, die dem Pool gegenüberlag, war einst Weideland gewesen, bevor der Boden, aus dem jetzt überall der rote Quarzfels herausschaute, ausgetrocknet war. An einigen Stellen wuchsen wilde Pflaumenbäume, struppige Büsche und Disteln, und dazwischen gab es offene Flächen mit kniehohem Gras.
Virgil fuhr an der Rückseite des Hügels entlang, bis er die Spuren eines Trucks sah, die von der Straße wegführten. Er bog ab, holperte durch einen flachen Graben und fuhr dann parallel zu den Reifenspuren den Hügel hinauf bis zu einem Gestrüpp aus Bäumen und Büschen direkt unterhalb des Hügelkamms. Die Spuren liefen um das Gestrüpp herum und endeten dahinter. Hier hatte der Schütze geparkt, an einer Stelle, die von der Straße aus nicht einsehbar war. Er blieb noch etwa eine Minute im Auto sitzen, beobachtete die Straße und sah kein einziges Fahrzeug. Er war allein bis auf einen Rotschwanzbussard, der über dem Hang kreiste, auf der Suche nach Wühlmäusen.
Der Bussard stieß auf den Boden herab und war nicht mehr zu sehen. Frühstück. Virgil stieg aus dem Truck und betrachtete die Spur, die das Fahrzeug des Schützen hinterlassen hatte. An dieser Stelle wuchs zu viel Gras und sonstiges Grünzeug, so dass keinerlei Abdrücke des Reifenprofils zu sehen waren. Er folgte einer der Spuren den Hügel hinunter, sah aber nie einen deutlichen Reifenabdruck. Folgte der anderen wieder hinauf und fand ebenfalls nichts.
Als er von der Stelle, wo er sein Auto abgestellt hatte, den Hügel hinaufblickte, die Sonne immer noch im Rücken, konnte er an dem zertretenen Gras erkennen, wo der Schütze gegangen war. Er nahm die Schrotflinte hinten aus dem Wagen, lud sie abwechselnd mit grobem Schrot und Kugeln, repetierte eine Patrone in die Kammer und folgte der Spur bis zum Kamm des Hügels. Als er etwa hundert Meter auf der anderen Seite hinuntergegangen war, konnte er den vorderen Rand des Tümpels sehen, und je weiter er den Hügel hinunterging, desto mehr würde er von dem Pool sehen können. Von dieser Stelle an verlief die Fußspur nicht mehr gerade, sondern schlängelte sich zwischen Buschwerk hindurch. Das bedeutete, dass Joan und er bereits am Pool gewesen sein mussten.
Nach weiteren hundert Metern fand er die Stelle, wo der Schütze gestanden hatte, ein Stück zertretenes Gras neben dem abgebrochenen und verrottenden Stumpf eines kleinen Baums. Wenn er das Gewehr auf den Stumpf aufgelegt hatte, hätte er zwei Drittel des Pools überblicken können. Um mehr zu sehen, hätte er direkt bis an den Rand der Schlucht gehen müssen, und das ohne Deckung.
Er suchte in dem zertretenen Gras nach Patronenhülsen, fand aber keine. Der Kerl hatte hinter sich aufgeräumt.
Von Virgils Aussichtspunkt aus machte die Schlucht unten nicht allzu viel her: ein Riss in der Landschaft, der an einer Stelle weiter
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