Blinder Hunger: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
sollten die Dinge irgendwann aus dem Ruder laufen.«
»Nicht die Dinge, ma petite, ich. Sollte ich aus dem Ruder laufen.« In seinen Augen lag ein Friede, als wäre ihm eine große Last von den Schultern genommen. Ich wusste genau, wer diese Last jetzt trug.
»Du Mistkerl. Früher hätte ich dich mit Freuden umgebracht, aber heute nicht mehr. Überhaupt nicht mehr.«
»Wenn es zu viel verlangt ist, dann tu so, als hätten wir nie darüber gesprochen.«
»Nein, du Mistkerl, verstehst du denn nicht? Wenn du wirklich durchdrehst und anfängst, unschuldige Leute abzuschlachten, werde ich diejenige sein, die gerufen wird. Ich bin der Scharfrichter.« Ich starrte ihn an.
»Aber, ma petite, das warst du immer.«
Ich stand auf. Meine Knie waren nicht mehr wacklig. »Aber ich habe noch nie jemanden geliebt, den ich umbringen musste.«
»Aber du hast mir immer gesagt, dass deine Liebe dich nicht abhalten würde, deine Pflicht zu tun.«
Mir brannten die Augen. »Wird sie auch nicht. Wenn du durchdrehst, werde ich meine Pflicht tun.« Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Du verfluchter Machiavelli, ich hätte dich damals töten können, ohne in dich verliebt zu sein.«
»Ich wollte, dass du mich liebst, aber nicht um einen Notfallplan zu haben, wie du es ausdrückst. Ich wollte, dass du mich liebst, weil ich dich liebte.« Seine Stimme war nah, und als ich die Augen aufmachte, stand er vor mir. »In letzter Zeit hat mich die Sorge umgetrieben, du könntest so sehr in mich vernarrt sein, dass du mir Verbrechen nachsiehst.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, niemals.«
»Das wollte ich wissen, ma petite.«
»Nenn mich nicht so, nicht jetzt.«
Er atmete tief durch. »Anita, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht quälen, nicht mit Absicht.«
»Hätte dieses Gespräch nicht warten können, bis das Nachglühen vorbeigewesen wäre?«
»Nein. Ich wollte wissen, ob du mich mehr liebst als deinen Sinn für Gerechtigkeit.«
Ich schluckte mühsam. Ich würde nicht weinen, nein. Ich würde verflucht noch mal nicht weinen. »Was brächt mein Lieben dir Gewinn, liebt ich nicht Ehre mehr!«
Er nahm meine Hände, und fast hätte ich sie weggerissen, aber ich zwang mich stillzuhalten. Ich war so wütend, so sauer, so …
»Mein Herz, o schilt mich lieblos nicht«, sagte er, »dass ich von deiner treuen Brust fortstürmend folge meiner Pflicht.«
Ich sah ihn an und zitierte die nächste Zeile: »Zu Krieg und Waffenlust.«
»Traun! Neuer Minne jag ich nach«, sagte er.
»Dem ersten Feind im Schlachtgefild«, sagte ich und ließ mich von ihm näher heranziehen.
»Und treu umfang ich jeden Tag«, sagte er.
»Das Schwert, das Ross, den Schild.« Und das letzte Wort flüsterte ich an seine Wange, während ich forschend in sein Gesicht sah.
»Und doch, mein unbeständiger Sinn gibt dir die sicherste Gewähr«, flüsterte er in meine Haare.
Ich schloss das Gedicht mit der Wange an seiner Brust, das Ohr an seinem Herzen, das wahrhaftig durch mein Blut schlug. »Was brächt mein Lieben dir Gewinn, liebt ich nicht Ehre mehr!«
»An Lucasta, als er in den Krieg zog«, sagte Jean-Claude. Er hielt mich in den Armen.
Zögernd legte auch ich die Arme um ihn. »Richard Lovelace«, sagte ich. »Dieses Zeug hat mir schon im College gefallen.« Ich schloss die Arme um seine Taille, und so standen wir da. »Ich glaube, ohne deine Hilfe hätte ich nicht mehr das ganze Gedicht aufsagen können.«
»Zusammen sind wir mehr als allein, Anita, und das ist Liebe.«
Ich drückte ihn, und die Tränen begannen zu laufen, heiß und heftig und erstickend. »Nicht, Anita.«
Ich brauchte sein Gesicht nicht zu sehen, um zu wissen, dass er lächelte. Ich konnte es an seinem Ton hören. »Ma petite, ma petite, ma petite.«
Es kommt ein Punkt, wo man einfach nur liebt. Nicht weil derjenige gut oder schlecht oder sonst was ist. Man liebt ihn ohne Wenn und Aber. Das heißt nicht, dass man für immer zusammenbleibt. Es heißt nicht, dass man ihm nicht mehr wehtut. Es heißt nur, dass man ihn liebt. Manchmal trotz dessen, was er ist, und manchmal weil er ist, wie er ist. Und man weiß, dass man ebenfalls geliebt wird, manchmal, weil man so ist, und manchmal, obwohl man so ist.
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D er Sapphire Club befindet sich in einem flachen weitläufigen Gebäude, das von außen nicht schön aussieht. Er wirkt kaum anders, als die meisten Bars und Clubs dieser Gegend. Was macht ihn dann zum Gentlemen’s Club unter den Tittenbars? Zum Beispiel die
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