Blinder Hunger: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
Augenwinkeln: Richard schauderte auch. Zum ersten Mal überlegte ich, inwieweit Jean-Claudes Fähigkeiten bei ihm wirkten. Ich war schrecklich heterosexuell und blickte manchmal einfach nicht über den Tellerrand. Richard stand nicht auf Männer, und darum hatte ich geglaubt, Jean-Claude könne nicht die gleiche Wirkung auf ihn haben wie auf mich. Jetzt fragte ich mich, ob Richard mit Jean-Claude mehr Probleme hatte als angenommen. Ein Mann, der entschieden hetero war und trotzdem von Jean-Claudes Verführungskräften berührt wurde, dürfte das als Problem empfinden. Dass ich noch nie daran gedacht hatte, zeigte mal wieder deutlich, wie wenig hellsichtig ich hinsichtlich der Männer in meiner Umgebung war.
»Doch bevor wir uns näherkommen, muss ich mir dieses Zeug abwaschen. Es flockt schon ab, und ich fühle mich schmutzig.«
»Dann hätten wir Zeit, das Bettzeug zu wechseln«, sagte Jean-Claude und fasste an das steif gewordene Laken. »Ich habe noch nie ein Bett gesehen, in dem mehr als ein Lykanthrop die Gestalt gewechselt hat. Es ist, wie sagt man, eine Sudelei.«
Gewöhnlich drückte er sich treffender aus, auch bei abwertenden Ausdrücken. Dafür war er wieder sehr selbstzufrieden, und ich wusste nicht, warum. Wenn ich meine Schilde einen Fingerbreit senkte, damit ich ihn in Gedanken fragen konnte, würde ich auch mehr von Richard in mir hören und fühlen. Das wollte ich nicht. Ich würde also später fragen oder es selbst herausfinden müssen. Wie auch immer.
»Ich gehe schnell duschen«, sagte ich und ging zur Tür.
»Hätte er das gesagt«, Richard deutete mit dem Daumen auf Jean-Claude, »würde ich das Schnell bezweifeln.«
Nach der Bemerkung fragte ich mich, wie viel Zeit Richard bei Jean-Claude verbrachte, wenn ich nicht da war. Aber das sagte ich nicht laut. Man lernt ja dazu. Richard fühlte sich schon unbehaglich genug in Jean-Claudes Gegenwart.
»Wir werden hier sein, wenn du fertig bist, ma petite. Und das Bett wird hoffentlich in besserem Zustand sein.« Er betrachtete es jedoch zweifelnd.
»Warum gehen wir nicht in dein Zimmer?«, fragte Richard.
»Asher liegt in meinem Bett. Er ist noch tot, und ma petite findet das störend. Wenn er erwacht, während du mir Blut spendest, fändest du das störend.«
Richard stand auf und zog schützend die Schultern zusammen. »Störend. So kann man es auch nennen.« Er klang nicht glücklich, und ich fragte mich, ob zwischen ihm und Asher etwas vorgefallen war, das ich erfahren sollte. Wahrscheinlich nicht. Ging mich nichts an.
Ich musste noch mal zum Bett zurück und die Pistole unter dem Kissen hervorholen. »Möchte nicht, dass die im Wäscheschacht landet.«
Jean-Claude winkte mich zur Badezimmertür. »Geh duschen, ma petite, wenn du dich nicht allzu sehr beeilst, sind wir bereit, bis du fertig bist.«
Sind wir bereit. Dieses viele Wir machte mich misstrauisch. Ich ging ins Bad und überließ ihnen die Debatte, ob das Bett halten würde oder ob es sicherer wäre, den Rahmen zu entfernen. Als ich die Tür hinter mir schloss, fiel mir auf, dass wir eigentlich kein Bett brauchten. Jean-Claude konnte kniend auf dem Boden an Richard saugen, oder nicht? Seit Monaten war das die erste Gelegenheit für mich, sie beide gleichzeitig anzufassen. Da wollte ich nicht angetrockneten Lykanthropenschleim an mir kleben haben. Doch davon abgesehen würde der Boden völlig ausreichen. Wir brauchten kein Bett.
Ich war drauf und dran umzukehren und es ihnen zu sagen, ließ es dann aber bleiben. Sie waren Männer, egal, was sie sonst noch waren, und Männern geht es besser, wenn sie etwas zu tun haben. Sollten sie das Bett herrichten und alles hübsch ordentlich machen. Das würde ihnen unbehagliches Schweigen ersparen. Jedenfalls hoffte ich das.
57
A ls ich aus der Dusche stieg, hing mein schwarzer Morgenmantel am Haken an der Tür. Wieso hatte ich nichts gesehen oder gehört? Wenn Jean-Claude hereinkommen konnte, ohne dass ich etwas merkte, war meine Abschirmung eindeutig zu stark. Das ging zu Lasten meiner Wachsamkeit. Nicht gut.
Ich trocknete mich ab, schlang mir ein Handtuch um die Haare und zog den Morgenmantel über. Für saubere Unterwäsche hätte ich jetzt manches gegeben, aber nun ja. Wenn ich die beiden Hälften weit übereinanderschlug und den Gürtel fest zuband, würde der Ausschnitt nicht auseinanderklaffen. Ich betrachtete mich prüfend im Spiegel. Nichts zu sehen außer ein bisschen Brustansatz. Das Make-up hatte ich mir abgewaschen. Ich
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