Blinder Hunger: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
verlieren. Richard hatte mir in der Nacht geholfen, wenn auch vergeblich, aber er hatte es ehrlich versucht.
Ich setzte mich auf die Bettkante, und er ließ sich mit angezogenen Knien auf dem Boden nieder, dann berichtete ich ihm in einer Kurzfassung von der Beinahe-Katastrophe und in einer bearbeiteten Fassung von meiner Hilfestellung für Jean-Claude. Nicht dass ich viel wegließ, ich schmückte nur nichts aus.
»Ich kann nicht glauben, dass du Byron gevögelt hast. Ich hätte nicht mal gedacht, dass er auf Frauen steht.«
»Er hat sich geopfert«, sagte ich und versuchte, meinen ironischen Ton stark zu reduzieren.
Er wurde tatsächlich rot. »So habe ich es nicht gemeint. Ich meinte nur, wenn ich dir unter den neuen Vampiren welche ausgesucht hätte, wäre er nicht auf der Liste gewesen.«
»Auf meiner steht er ehrlich gesagt auch nicht. Er ist ein ziemlich netter Kerl, aber mehr auch nicht.«
»Warum hast du es dann getan?«
»Er war gerade da, Richard. Jean-Claude dachte, wenn ich versehentlich jemandem die Seele aus dem Leib sauge, wäre ich bei Byron nicht so erschüttert wie bei Nathaniel.«
»Ist Primo ein trojanisches Pferd?«, fragte er, und damit stieg er in meiner Meinung erheblich. Das war eine sehr gute Frage.
»Du meinst, der Drache könnte Primo bei Jean-Claude eingeschleust haben, um sein Territorium an sich zu reißen?«
»Oder um so viel Gewalt auszulösen, dass Jean-Claude sich vor Anklagen nicht mehr retten kann. Oder dass sein Geschäft ruiniert wird oder dergleichen. Nach allem, was Jean-Claude aus Europa hört, ist der Rat nicht glücklich über ihn.«
Ich musste ein erstauntes Gesicht gemacht haben, denn Richard sagte: »Ich habe mich auf dem Laufenden gehalten, Anita.«
»Tut mir leid, entschuldige, das hätte ich nicht gedacht.«
»Ich gebe zu, vor einem Monat etwa war ich nicht sehr interessiert, aber jetzt bin ich es. Ich sagte ja, ich habe beschlossen zu leben und nicht schleichend zu sterben. Das heißt jedoch, dass ich achtgeben muss, was ringsherum läuft. Das wird mir vielleicht nicht gefallen, aber Mitglied dieses Triumvirats zu sein, macht es unabdingbar.«
»Was Primo angeht, bin ich überfragt. Könnte sein, dass er ein trojanisches Pferd ist. Ich lass seinen Sarg von einer Werratte bewachen und habe Befehl gegeben, ihn zu töten, wenn er ausbricht. Er hatte seine zweite Chance, eine dritte bekommt er nicht.«
»Wieso sollte Jean-Claude jemanden aufnehmen, der so gefährlich ist?«
»Ich habe Primo kämpfen sehen, und er hat enorme Selbstheilungskräfte, die ich an anderen Vampiren noch nicht beobachtet habe. Es war beeindruckend. Wir haben viele machtvolle Vampire, aber die meisten stammen von Belle ab und bringen hauptsächlich Schönheit und Verführungskünste mit, was für die Clubs gut ist. Ich meine, wir haben wirklich erstklassige Leute, die strippen und mit den Touristen tanzen, aber wenn es Krieg gäbe, einen richtigen Krieg, hätten wir fast keine Soldaten.«
»Ihr habt die Wölfe«, sagte er, »und durch zwei Abkommen die Werratten.«
»Ja, aber es ist ungewöhnlich mit anderen Rudeln so eng verbündet zu sein. Vampire, die hierherkommen, um die Möglichkeiten einer Eroberung zu erkunden, würden nur dein Rudel einberechnen, weil der Wolf Jean-Claudes gehorsames Tier ist. Sie würden nicht glauben, dass ein Abkommen mit anderen Wertieren hält, wenn es hart auf hart kommt.«
»Du befürwortest also, dass Primo hier ist?«
»Nein, überhaupt nicht, nicht mehr nach der gestrigen Nacht. Ich finde, wir sollten ihn erschießen, aber ich verstehe, warum Jean-Claude das Risiko eingegangen ist. Wir brauchen Vampire, die kämpfen können und nicht bloß hübsch aussehen.«
Wie aufs Stichwort ging die Tür auf und herein kam mein Lieblingsvampir.
56
W ir drehten uns beide zur Tür um, und da stand Jean-Claude in seinem schwarzen Morgenmantel, den ich so toll fand. Es war der mit dem Pelzbesatz an den Aufschlägen, der seine blasse Brust so hübsch einrahmte. Seine langen schwarzen Locken waren gekämmt und sahen frisch und schön aus. Ich war noch immer nicht geduscht. Tja.
»Ich habe nicht gespürt, dass du aufgewacht bist. Das spüre ich sonst immer.«
»Ihr beide schirmt euch sehr stark ab«, sagte er und schritt ins Zimmer. Seine nackten Füße sahen auf dem dunklen Teppichboden sehr blass aus. »Ich habe deine letzte Bemerkung gehört, ma petite. Soll ich sie als Beleidigung auffassen?«
»Es tut mir leid, aber wir brauchen Kämpfer, keine
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