Blinder Instinkt - Psychothriller
Minuten, als du mit Seilspringen beschäftigt warst, die Polizei hier angerufen hat und dich sprechen wollte.«
»Die Polizei?«, gab Max erstaunt von sich.
»Die Polizei!«, wiederholte Kolle.
»Und was haben die gewollt?«
»Um einen Strafzettel wegen falschem Parken geht es wohl nicht. Dafür würde keine Kriminalkommissarin anrufen. Die Dame möchte, dass du zurückrufst.«
Kolle schob einen gelben Notizzettel über den Schreibtisch. Max beugte sich vor, nahm ihn auf und las die darauf notierte Telefonnummer.
»Willst du sie auswendig lernen?«, fragte Kolle.
Max blickte zu ihm auf. »Kann ich mir keinen Reim drauf machen.«
»Das lässt sich ja schnell ändern.« Kolle deutete mit einem Nicken auf das schnurlose Telefon. »Ich habe der Dame versprochen, dass du in ein paar Minuten zurückrufst.«
Max griff nach dem Telefon und gab die Nummer ein. Obwohl er überhaupt keine Ahnung hatte, worum es gehen könnte, breitete sich in seinem Bauch ein merkwürdiges Gefühl aus.
»Soll ich dich allein lassen?«, fragte Kolle, bevor am anderen Ende jemand abnahm, machte aber keine Anstalten, sich aus seinem Drehstuhl zu erheben.
Max schüttelte den Kopf. Die Frage war ohnehin nicht ernst gemeint gewesen.
Die Polizistin hatte Konrad eine direkte Durchwahl gegeben, so dass Max sie gleich am Apparat hatte. Sie stellte sich als Kommissarin Gottlob von der Kripo in Hannover vor.
»Und worum geht es?«, fragte Max.
»Ich hätte da ein paar Fragen an Sie, die sich nicht am Telefon klären lassen. Kann ich Sie morgen irgendwo treffen? Es dauert sicher nicht länger als eine halbe Stunde. Ich lade Sie auch gern zu einem Kaffee ein.«
Sie klang betont nett, so als müsse sie ihn überreden. Max überlegte. Dass er mit der Frau sprechen musste, stand wohl außer Frage. Sie hätte nicht angerufen und würde den Weg von Hannover nach Hamburg nicht auf sich nehmen, wenn es nicht wichtig wäre. Fragte sich nur, wo er sich mit ihr treffen sollte? Hier im Gym auf keinen Fall, ebenso wenig zuhause. Ein einziger dieser lästigen Reporter würde genügen, um daraus eine Lügengeschichte zu konstruieren, die er dann monatelang dementieren müsste. Ein Profi-Boxer, der von einer Kommissarin verhört wird; so etwas war immer eine Schlagzeile wert, besonders, wenn man wie er gerade die Europameisterschaft verteidigt hatte.
»Kennen Sie die Autobahnraststätte Brunautal an der A7?«, fragte Max.
»Die kenne ich, ja. Aber ist das nicht zu weit für Sie?«
»Das geht schon in Ordnung. Wir können uns dort gegen 10 Uhr treffen. Wie erkenne ich Sie?«
»Sie sind ja nicht unbekannt, Herr Ungemach, also werde ich Sie erkennen.«
»Können Sie mir nicht wenigstens sagen, was das Ganze soll?«
Sie klang unbekümmert, als sie antwortete: »Machen Sie sich bitte keine Sorgen! Ich habe nur ein paar Fragen zu einer weit zurückliegenden Angelegenheit - dem Verschwinden Ihrer Schwester.«
8
Ihre kleine Hand lag warm auf seiner linken Schulter, während sie langsam die Straße hinuntergingen; die so erstaunlich kräftige Hand einer Achtjährigen, die es gewohnt war, sich irgendwo festzuhalten, ihrem Körper Halt, Orientierung und Sicherheit zu geben.
»Und wir bekommen bestimmt keinen Ärger, Max?«, fragte Sina. Allerdings klang ihre Stimme dabei kein bisschen ängstlich, sondern fröhlich und gespannt, voller Erwartung auf ein Abenteuer, und sie wäre sowieso auf jeden Fall mitgekommen.
»Wenn du dich nicht verplapperst, bestimmt nicht!«, antwortete Max.
Die hoch stehende Sommersonne strahlte von einem makellos blauen Himmel. Max genoss kurz die Vorstellung, heute und vielleicht die ganzen endlosen Sommerferien lang, tun und lassen zu können, was er wollte. Aber das war natürlich eine Illusion, denn für die nächsten sechs Wochen musste er den Aufpasser für seine kleine Schwester spielen.
In seine Gedanken versunken hatte er seinen Schritt etwas beschleunigt, und schon spürte er, wie sich Sinas Finger in seine Nackenmuskulatur gruben. Sie mühte sich mitzuhalten, wollte ihm nicht zur Last fallen und würde erst
etwas sagen, wenn es gar nicht mehr ging. Im Grunde war sie ziemlich tapfer, fand Max.
Tante Maja hatte mal gesagt, es mache Sina deswegen nicht so viel aus, weil sie ja von Geburt an blind sei und es deshalb nicht anders kenne, aber das hielt Max für ausgemachten Quatsch. Sina wusste schließlich genau, dass die anderen sehen konnten, und aus seinen Beschreibungen wusste sie auch, was ihr entging.
Vor ein paar
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