Blinder Instinkt - Psychothriller
nicht auf die Folter, um diese Zeit habe ich keinen Humor mehr. Ist es das, was ich vermutet habe?«, fragte Franziska, stand auf und ging zur Tür.
»Die Frau mit dem zweiten Gesicht hat wie immer recht behalten.«
»Kein zweites Gesicht, nur das Ausnutzen vorhandener Denkkapazitäten, aber davon verstehen Männer nichts. Los, sag schon!«
»Der Mistkerl hat uns tatsächlich den Gefallen getan und in die Büsche gewichst. Bestes Genmaterial. Damit kriegen wir ihn!«
Franziska nickte gedankenverloren. »Warum hat er das getan? Weiß doch heutzutage jeder, dass die Spurentechniker alles finden, jeden kleinen Fussel. Die Öffentlichkeit weiß
über Gentests und Reihenuntersuchungen Bescheid. Warum hinterlässt er im Wald seinen genetischen Fingerabdruck, geht innerhalb des Gebäudes aber sehr professionell vor?«
»Hab ich mich auch gefragt«, sagte Paul, der mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen lehnte. »Entweder will er mit uns spielen und weiß, wie elendig lange es dauern kann, bis wir die Ergebnisse haben, oder aber es ist ihm egal, weil er sich für unbesiegbar hält.«
»Letzteres wäre am besten, denn diese Typen machen die meisten Fehler. Es kann aber auch sein, dass er bereits eine Grenze überschritten hat, schon jetzt phasenweise die Kontrolle verliert, sich zwar organisiert, auf Dauer der Belastung aber nicht gewachsen ist.«
»Was ebenfalls eine hohe Fehlerquote mit sich bringt«, sagte Paul.
»Ja. Aber wenn er die Nerven verliert, tötet er die Kleine«, gab Franziska zu bedenken.
Sie sahen sich einen Moment schweigend an.
»In einigen Jahren«, sagte Paul dann leise und blickte auf seine Schuhe hinab, »ist meine Kleine so alt wie Sarah und kann so einem Arschloch in die Hände fallen. Ich mag gar nicht daran denken.«
»Dann tu es auch nicht. Du weißt doch, wie das läuft. Wenn du dich für diese Art Ängste öffnest, kannst du den Job gleich an den Nagel hängen. Menschen können nahezu perfekt verdrängen, und gerade wir müssen diese Eigenschaft nutzen.«
»Theorie und Praxis«, seufzte Paul. »Halt mal so einen kleinen Scheißer im Arm, schau ihm in die Augen, die so total wehrlos dreinblicken, und dann erzähl mir noch mal was von Verdrängung.«
Franziska nickte. Sie hatte der kleinen Tabea schon in die Augen gesehen und ahnte, wovon Paul sprach. Sie wusste nicht, was sie dazu noch sagen sollte. Immer öfter machte die Welt sie sprachlos, machte der hoch sozialisierte Mensch sie sprachlos, wütend, ohnmächtig.
»Magst du trotzdem noch einen Kaffee?«, fragte Paul.
»Ja, bitte … Sonst schlafe ich auf der Heimfahrt ein.«
Paul verschwand.
Franziska setzte sich wieder an ihren Schreibtisch und versuchte, das deprimierende Gefühl zu vertreiben, das sich gerade in ihr auszubreiten begann. Noch fiel es ihr leicht, da sie so früh bereits einen Ermittlungsansatz, eine Spur hatten. Ob sie Sarah damit noch helfen konnten, stand auf einem anderen Blatt.
Dass sie mit ihrer Vermutung, der Täter könnte in die Büsche gewichst haben, recht gehabt hatte, überraschte sie nicht. Im Gegensatz zu dem, was Hollywoodfilme gern suggerierten, gab es den perfekt organisierten Täter nicht. Sie alle folgten einem Trieb, und Triebhaftigkeit war ein äußerst saftiger Nährboden für Fehler. Die Quelle ihrer Begierden war gleichzeitig die Keimzelle ihres Untergangs. Und das war objektiv betrachtet nur gerecht.
Franziska klickte mit Verspätung auf die Enter-Taste, lehnte sich zurück und ließ den PC suchen. Mit geschlossenen Augen legte sie den Kopf in den Nacken. Ihre Halswirbel knackten. Sie sehnte sich nach einer heißen Dusche, nach ihrem gemütlichen Lehnstuhl mit Blick auf die freien Wiesen und den Waldrand hinter dem Haus. Ein bisschen Musik hören, ein Bier trinken, Schokolade essen, abschalten, Feierabend, so wie andere auch.
Mit einem leisen Piepen meldete das Programm einen
Fund. Franziska blinzelte sich in die Realität zurück, lehnte sich vor und las die Information.
Las sie noch einmal.
Sie wollte es trotzdem nicht glauben und las ein drittes Mal.
»Ist ja nicht zu fassen!«, murmelte sie.
Paul erschien mit zwei Tassen Kaffee in der Tür.
»Vorsicht! Heiß und giftig!«, rief er und stellte die Becher auf dem Schreibtisch ab.
Franziska fühlte sich auch ohne Kaffee plötzlich hellwach, war quasi elektrisiert. »Komm her, und schau dir das an!«, sagte sie zu Paul.
»Was gibt’s denn?«
»Ich habe einen Abgleich gestartet. Und jetzt sieh dir mal an, was
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