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Blinder Instinkt - Psychothriller

Titel: Blinder Instinkt - Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Minuten erst hatte er ihr beschreiben müssen, wie es ringsherum aussah. Vor allem die Sonne, immer wieder die Sonne, darüber konnte sie gar nicht genug hören. Es fiel Max nicht schwer, die richtigen Worte zu finden. Sie gerieten ihm sogar geradezu poetisch, und er liebte ihren Klang, wunderte sich immer wieder, wie selbstverständlich sie aus ihm heraussprudelten. Dass Sina ihn niemals auslachte, verlieh ihm den Mut, ihr so oft sie wollte die Sonne zu beschreiben. Aber immer nur für sie allein.
    »Wie weit ist es denn noch?«, fragte sie von hinten.
    »Nicht mehr weit.«
    »Und du willst mir nicht verraten, was es ist?«
    Max blieb stehen und drehte sich zu ihr um. Dabei rutschte ihre Hand von seiner Schulter und blieb auf halber Höhe in der Luft schweben, bereit, wieder zuzugreifen, wenn es weiterging.
    In dem hellen Licht schien Sinas kupferrotes Haar aus sich heraus zu leuchten. Wie immer trug sie es zu kräftigen Zöpfen geflochten. Und obwohl Max wusste, dass sie ihn mit ihren großen, wunderschönen Augen unmöglich sehen konnte, gelang es ihm nicht, ihrem Blick länger als ein paar Sekunden standzuhalten. Immer kam es ihm vor, als könnten gerade ihre blinden Augen tief in ihn hineinsehen.

    »Dann wäre es ja keine Überraschung mehr«, sagte er. »Du kannst doch weiterlaufen, oder?«
    »Sehe ich aus, als könnte ich nicht mehr? An so einem Tag kann ich bis nach Afrika laufen.«
    »Das ist ziemlich weit.«
    »Wie weit?«
    »Ich habe keine Ahnung, aber dafür würden die Ferien sicher nicht ausreichen.«
    »Vielleicht machen wir das ja eines Tages! Du und ich, nur wir beide. Wir gehen zusammen nach Afrika und dann beschreibst du mir dort die Sonne. Was meinst du, Max? Ob das geht?«
    Sie war acht Jahre alt. Sie war aufgeweckt, schlauer als er, aber sie war auch kindlich naiv bis dorthinaus. Und er würde es niemals übers Herz bringen, diese Naivität zu zerstören.
    »Warum nicht!«, sagte er. »Wenn wir genügend Proviant einpacken.«
    »Haben wir heute genügend Proviant dabei?«
    »Wir haben eine Flasche Sprite, zwei Äpfel und zwei Butterbrote mit Salami. Für heute wird es reichen.«
    »Dann nichts wie weiter.«
    Max drehte sich um, und noch in der Bewegung fand ihre Hand zurück auf seine Schulter.
    Er hatte wirklich eine Überraschung für sie geplant, aber das war nur ein Grund, warum er mit ihr hinausgegangen war. Der andere war, was seine Mutter Vaters »Kornkater« nannte. Ein Zustand, der nur schwer zu ertragen war und neuerdings regelmäßig dafür sorgte, dass Max mit seiner Schwester aus dem Haus flüchtete. Seit sein Vater vor einem halben Jahr die Anstellung in dem großen Gaswerk
hier ganz in der Nähe verloren hatte, trank er zu viel, und nicht nur wegen der Arbeitslosigkeit. Max hatte Gerüchte gehört. Sein Vater sollte schuld gewesen sein an einem Betriebsunfall, bei dem ein Arbeiter getötet worden war und ein weiterer schwere Brandwunden erlitten hatte. Zuhause sprach niemand darüber, und im Ort wurde nur hinter vorgehaltener Hand getuschelt.
    Nach weiteren zehn Minuten erreichten sie die kleine Holzbrücke über den Meerbach. Unmittelbar dahinter bogen sie nach rechts auf einen Trampelpfad ab, der am Ufer des Baches entlangführte. Der Weg wurde oft von Anglern benutzt, doch zu dieser Tageszeit hielt sich hier niemand auf.
    Das hohe Unkraut kitzelte an ihren nackten Beinen.
    »Das fühlt sich lustig an«, sagte Sina, und ihre Hand verschwand von seiner Schulter. Max wandte sich zu ihr um und sah dabei zu, wie sie sich im Kreis drehte. Dann trat sie plötzlich in ein Hasenloch, stolperte in seine Richtung, und ihr Kopf schlug gegen seine Lippen, als er sie auffing. Max spürte Blut in seinem Mund.
    »Mist!«, fluchte er laut.
    »Hab ich dir weh getan? Das wollte ich nicht!« Sina war erschrocken.
    »Mann, hast du einen harten Schädel«, sagte Max und rieb sich das Kinn. Es tat wirklich weh.
    »Tut mir leid, ganz ehrlich.«
    »Du musst schon gucken, wo du hintrittst«, flachste Max, um der Situation den Ernst zu nehmen.
    Sina knuffte ihn am Oberarm und grinste. »Blödmann!«, sagte sie.
    Sie nahm es ihm nie übel, wenn er Witze über ihre Behinderung riss. Er war der Einzige, der das durfte.

    Er betastete seine Lippe, die bereits anschwoll.
    »Mannomann, du hast aber wirklich einen verdammt harten Schädel«, wiederholte er und wartete auf ihre Hand, die sich wieder auf seine Schulter senkte.
    Sie gingen weiter am Ufer entlang und erreichten bald einen kleinen Strandabschnitt,

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