Blinder Instinkt - Psychothriller
großen Eiche beim Fluss stieg lärmend eine Schar Krähen empor.
Beide ließen sich in den Sand fallen.
Max öffnete den alten grünen Rucksack, den er auch für seine Schulsachen benutzte, und holte die Sprite und die beiden Salamibrote hervor. Die Seiten des Brotes bogen sich bereits nach oben, es war schon alt gewesen, als Max es geschmiert hatte, aber das spielte keine Rolle. In seinem ganzen Leben hatte ihm eine alte Stulle noch nie so gut geschmeckt. Mit der warmen, beinahe schon eklig süßen Sprite spülten sie die Krümel hinunter. Zufrieden und satt saßen sie da. Sina weigerte sich, ihre Sachen wieder anzuziehen.
»Ich trockne in der Sonne«, bestimmte sie.
Max ließ sie. Als sie sich ausstreckte, um in der Sonne zu dösen, sagte er ihr, dass er sich oben auf die Böschung setzen würde, weil es ihm hier unten zu warm wurde.
Wo der Sandstrand endete, erhob sich ein gut vier Meter hoher Wall aus lehmigem Boden. Max krabbelte hinauf. In Wahrheit war es ihm unten am Wasser keineswegs zu warm gewesen, hier oben war es sogar noch wärmer, aber er hatte von der Böschung einen besseren Überblick und konnte schon von Weitem sehen, wenn sich jemand näherte.
Er lehnte sich an den Stamm einer Pappel, zog die Knie an und umschloss sie mit den Armen. Im Rücken den Wald,
der sich unmittelbar an die Böschung anschloss, ließ er seinen Blick schweifen. In weiter Entfernung konnte er die rot schimmernden Dächer des Dorfes erkennen. Sie waren so weit weg, in einer anderen Welt, und Max stellte sich vor, niemals wieder dahin zurückzumüssen. Würde er etwas vermissen? Seine Eltern? Oder die Schule vielleicht? Ja, die Schule schon! Oliver und Jürgen, seine besten Freunde. Bestimmt spielten sie gerade Fußball.
Scheiße! Er würde so gern mit den Jungs Fußball spielen, so wie sonst auch, aber die Ansage seines Vaters war klar: Er hatte auf seine Schwester aufzupassen! Denn auch die Schule für Blinde, die Sina besuchte, hatte Ferien. Geld für die Sommerfreizeit auf Ameland, zu der Sina eigentlich gefahren wäre, war durch die Arbeitslosigkeit nicht mehr da, also musste sie daheim bleiben. Seine Mutter schob zum Ausgleich schlecht bezahlte Doppelschichten in der Wäscherei zwei Ortschaften weiter und war danach kaum noch ansprechbar.
Da unten lag seine Schwester im Sand und wusste nichts von all dem, ahnte nicht einmal, was er für sie aufgab.
Max schloss die Augen, blendete die Gedanken aus und ließ den Kopf gegen den Stamm der Pappel sacken. Fußball war der eine Grund, wegen dem er jetzt gern woanders gewesen wäre, doch es gab noch einen anderen: Emily, das hübscheste Mädchen seiner Klasse! Max versuchte sich vorzustellen, wie sie lächelte und ihm zuwinkte, während er zwischen den Pfosten für seine Mannschaft das Tor hütete. Mehr als ein Lächeln war bislang zwischen ihnen nicht gewesen, aber Max spürte, dass Emily noch in diesem Jahr sein Mädchen werden würde!
»Max!«, rief sie.
»Max!« Diesmal lauter.
Es dauerte einen Moment, ehe Max begriff, dass er mit den Gedanken an Emily eingedöst war. Nicht sie rief ihn, sondern Sina. Schon hörte er Stimmen. Da kam jemand! Max richtete sich auf und entdeckte drei Jungs, die eben von der Brücke auf den Pfad abbogen. Sie waren direkt auf dem Weg zum Strand.
»Max, da kommt jemand!«, rief Sina von unten. Sie saß aufrecht, hatte ihm das Gesicht zugewandt. »Ich finde meine Sachen nicht!«
Ihre Kleidungsstücke lagen ein paar Meter von ihr entfernt am Wasser.
»Ich komme!«, rief Max ihr zu und sprang die vier Meter in den weichen Sand hinunter. Der Aufprall schüttelte ihn ordentlich durch. Sofort holte er Sinas Sachen und half ihr dabei, sich anzuziehen. Als er ganz nahe bei ihr stand, spürte er die Hitze, die sie in der Sonne getankt hatte. Außerdem roch sie nach Fluss.
»Wer kommt da?«, wollte sie wissen.
»Ich weiß es nicht. Ich konnte nur drei Jungs sehen.«
Sina hatte Unterhose, Hose und Bluse an und war gerade dabei sie zuzuknöpfen, als die Stimmen lauter wurden. Max drehte sich in Richtung des Pfades und konnte jetzt erkennen, wer ihre Idylle störte. Jens Sauter kam durch das hohe Gras auf ihn zu. Dicht gefolgt von Thomas Fleischer und Philipp Kehr. Das unzertrennliche Trio. Ausgerechnet die!
Als Jens ihn bemerkte, blieb er stehen. Mit ein paar Worten, die Max nicht verstehen konnte, machte er seine Freunde auf sie aufmerksam. Alle drei stießen ein kurzes, hartes Lachen aus, dann kamen sie näher.
»Sind das deine
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