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Blinder Instinkt - Psychothriller

Titel: Blinder Instinkt - Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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aber nicht. Er warf auch einen kurzen Blick ins Wohnzimmer. Auf der Couch lag schnarchend sein Vater, die Füße in weißen Tennissocken mit schmutzigen Sohlen auf der Lehne. Küche, Abstellraum, Keller - Max sah überall nach. Schließlich war er sicher, dass seine Schwester nicht im Haus war.
    Mit klopfendem Herzen rannte er hinaus in den Garten. Er sah in der Doppelgarage nach, im ehemaligen Hühnerstall, der nur noch als Lager für allerlei Gerümpel diente, auf der überdachten Terrasse. Er lief kreuz und quer durch den Garten und musste sich zusammenreißen, um nicht Sinas Namen laut hinauszuschreien. Nach zehn Minuten hektischer Suche blieb er schwer atmend unter den Kirschbäumen stehen, stützte sich in vorgebeugter Haltung auf seine Oberschenkel ab und schüttelte immer wieder den Kopf. Sein Haar war nass, Schweiß rann von seiner Stirn, tropfte zu Boden und versickerte im Staub.
    Ein Alptraum! Das war ein Alptraum und durfte einfach nicht wahr sein! Sina hätte doch niemals ohne ihn das Grundstück verlassen!
    Oder?
    Max richtete sich auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dabei fiel ihm die Bewegung wieder ein, die er vorhin in einiger Entfernung am Meerbach wahrgenommen hatte. Vielleicht hatte es Sina in ihrer Langeweile ja wieder zu der schönen Stelle gezogen, an der er vor ein paar Tagen mit ihr gewesen war. Seitdem hatte sie ihm immer wieder in den Ohren gelegen damit, dass sie unbedingt noch einmal dorthin wolle.
    Sie würde die Standpauke ihres Lebens bekommen, wenn er sie dort fand, das schwor sich Max.

    Er lief los. Verließ das Grundstück genau so, wie er vorhin gekommen war. Rannte am Rande des Maisfeldes entlang, hinterließ dabei eine Staubfahne wie ein galoppierendes Pferd. Am Meerbach angekommen hielt er sich links und eilte den steinharten Lehmpfad entlang. Dabei sah er nach vorn, kniff die Augen zusammen, suchte nach einer Bewegung. Aber da war keine. Zur Hölle, da war keine!
    Vor seinem geistigen Auge lief ein Film ab, den er nicht sehen wollte, der sich aber nicht stoppen ließ. Er sah seine Schwester in dem flachen Wasser, sah ihr langes Haar mit in den Nacken gelegtem Kopf ins Wasser tauchen, dabei ihr Gleichgewicht verlieren und nach hinten taumeln. Sie geriet in die Strömung, wurde abgetrieben, in tieferes Wasser gezogen, ruderte verzweifelt mit den Armen, schrie, schluckte Wasser …
    Nein, nein, nein! Er wollte das nicht sehen und nicht glauben. Das durfte einfach nicht passiert sein!
    Seine Lunge brannte und seine Beine zitterten, als er die Holzbrücke erreichte und auf den Anglerpfad abbog. Wenige Minuten später stand er an der Stelle, an der er vor ein paar Tagen Jens und seine Kumpane verprügelt hatte.
    Keine Sina!
    Max lief am Strand entlang und suchte nach Spuren, nach Kleidungsstücken, fand aber nichts außer ein paar Fußspuren, die die Böschung hinaufführten. Doch die waren zu groß, um von Sina stammen zu können. Als er unten alles abgesucht hatte, krabbelte Max die Lehmböschung hinauf, postierte sich dort oben und suchte den Waldrand ab. Das Unterholz war dicht, viel erkennen konnte er nicht, aber eine Bewegung wäre ihm sofort aufgefallen. Doch es gab keine. Max kam sich plötzlich sehr einsam vor.

    Von einer Sekunde auf die andere wurde es ihm zu viel. Tränen schossen ihm in die Augen, und ein verzweifeltes Schluchzen löste sich tief in seinem Hals.
    »Siiiiiiinaaaaaaaaaaaaa!«, schrie er mit aller Kraft.
    Der Wald gewährte ihm ein schwaches Echo.
    »Siiiiiiinaaaaaaaaaaaaaa!«
    Keine Antwort. Er sank auf die Knie, schlug die Hände vors Gesicht und weinte.

14
    Max vermied es, die Polizistin anzusehen. Er spürte, dass seine Augen feucht geworden waren. Für einen Moment hatte er wirklich wieder dort oben an dem hohen Flussufer gesessen und geweint. Nicht um den Verlust, den er bis dahin ja noch gar nicht begriffen hatte, sondern wegen seiner Hilflosigkeit, wegen der namenlosen Angst vor dem, was nun passieren würde, und … ja, und auch aus Scham. Er hatte sich für sein Versagen geschämt.
    »Sind Sie dann sofort zurück nach Hause gelaufen?«, fragte Franziska Gottlob.
    Max nickte. »Ja. Ich wusste einfach nicht mehr weiter, wusste nicht, wo ich noch suchen sollte.«
    »Was taten Ihre Eltern?«
    »Die flippten total aus. Ich habe eine Tracht Prügel bezogen, dann sind beide raus, haben eine Stunde oder so im Garten und auf der Straße nach Sina gesucht und gerufen, was natürlich Zeitverschwendung war, aber das wollten sie nicht hören.

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