Blinder Instinkt - Psychothriller
Dann erst hat meine Mutter die Polizei gerufen.«
Franziska nickte. »Im Polizeibericht steht, es gab einen
Zeitraum von circa drei Stunden, in denen Sina ohne Aufsicht war.«
»Ja, das kommt hin.«
»Was meinen Sie heute dazu? Könnte es sein, dass Ihre Schwester allein an den Strand gegangen ist? Hätte sie den Weg überhaupt gefunden?«
»Darüber habe ich oft nachgedacht. Sie war schon damals unglaublich gut darin, sich anhand von Geräuschen, Gerüchen und Bodenmerkmalen zu orientieren. Ihr Gedächtnis war phänomenal. Was Sina sich alles merken konnte …« Max schüttelte den Kopf. »Aber ich weiß es wirklich nicht.«
»Mir ist etwas aufgefallen«, sagte Franziska. »Als Sie mir von dem Nachmittag an diesem Strandabschnitt am Meerbach erzählt haben.«
»Und was?«
»Dass der Täter Sie dabei eventuell schon beobachtet hat. Er hätte sich im Wald verstecken und ohne weiteres zusehen können, wie ein nacktes kleines Mädchen badet. Für einen potentiellen Triebtäter wäre das wie eine Initialzündung gewesen. Sollte es tatsächlich so gewesen sein, dann hätte es ab diesem Zeitpunkt für ihn kein Zurück mehr gegeben. Deshalb spielt es auch keine allzu große Rolle, dass Sie Ihre Schwester an jenem Tag allein gelassen haben. Das war die Chance für ihn, aber wenn nicht diese, dann hätte er später eine andere ergriffen.«
Max sah die Polizistin an. »Sagen Sie das, um mir meine Schuldgefühle zu nehmen?«
»Nein, ich meine es ernst.«
Es entstand eine Pause. Max wusste nicht, was er sagen sollte, und die Polizistin schien ihre Worte wirken lassen zu wollen. Als es peinlich zu werden drohte, und sie dem Geklapper
aus der Küche lange genug gelauscht hatten, ergriff sie endlich das Wort: »Ihr Vater wurde damals auch verdächtigt, wussten Sie das?«
Max nickte. »Die haben ihn ja sogar mit einem Streifenwagen abtransportiert, weil er sich wie ein Irrer aufführte. Rückwirkend betrachtet finde ich den Verdacht schon gerechtfertigt. Welcher Vater verpennt den ganzen Nachmittag und merkt nicht, dass seine blinde Tochter das Haus verlässt.«
»Die Aussage Ihrer Mutter und der noch am selben Tag festgestellte, beträchtliche Blutalkoholwert haben ihn zwar entlastet, aber bei den Ermittlern galt er trotzdem als verdächtig. Wenn ich mir die Frage erlauben darf: Wie sehen Sie das heute? Ist es möglich, dass Ihr Vater etwas damit zu tun hatte?«
Max schüttelte den Kopf.
»Nein, ich glaube nicht. Er war mitunter aggressiv, hat mich auch geschlagen, Sina aber nie angefasst. Wissen Sie, er hatte damals seinen Job verloren und verstärkt zu trinken begonnen, und an dem Nachmittag war er völlig zu. Ich wüsste nicht, wie er das angestellt haben sollte.«
»Warum ist er arbeitslos geworden?«, fragte Franziska.
»Damals wusste ich es nicht genau. Später, als er verurteilt wurde, habe ich dann darüber in der Zeitung gelesen. Er hat in der Fabrik nach der Wartung vergessen, ein Pressdruckrohr zu schließen, und es kam zu einer Explosion. Jemand starb. Sie haben ihm wohl Fahrlässigkeit nachgewiesen und zu einer Geld- und Bewährungsstrafe verknackt.«
»Schlimme Sache, so etwas kann einen schon aus der Bahn werfen«, sagte Franziska. »Was ist aus Ihren Eltern geworden?«
»Weiß ich nicht, und es interessiert mich auch nicht«, erwiderte Max knapp.
»Oh, wie schade.«
»Kann man sehen, wie man will, schätze ich. Über dieses Thema will ich nicht sprechen, und es hat ja wohl auch nichts mit den Ermittlungen zu tun, oder?«
»Nein … hat es nicht.«
Franziska Gottlob war offensichtlich überrascht von seiner brüsken Reaktion. Sie konnte ja nicht wissen, dass sie damit ein heißes Thema anschnitt. Max würde ihr gern helfen, aber über seine Eltern würde er nicht mit ihr sprechen. Alles hatte seine Grenzen.
»Konnte ich Ihnen überhaupt helfen?«, fragte Max.
»Das weiß ich noch nicht. Es ist ja leider so, wie es auch im Bericht steht. Sie haben nichts gesehen. Ich hatte mir den einen oder anderen Anhaltspunkt erhofft, etwas, an das Sie damals nicht gedacht haben oder das den ermittelnden Beamten nicht wichtig erschien.«
»Tut mir leid«, sagte Max.
»Muss es nicht. Es war auf jeden Fall den Versuch wert. Außerdem habe ich so immerhin den nächsten Weltmeister im Schwergewicht kennengelernt.«
Die Polizistin versuchte ihn aufzumuntern, aber so richtig funktionierte es nicht.
»Immer langsam, so weit bin ich noch nicht«, sagte Max.
»Ich für meinen Teil habe keinerlei Zweifel.«
Max
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