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Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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mich eine kubanische Nutte und spuckt mir Blut ins Gesicht, boxt mich, und die Typen lachen und pfeifen und fassen sich in den Schritt.«
    Wieder holte sie tief Luft und schloss die Augen. Sie konnte kaum mehr aufrecht sitzen, lehnte an meinen Beinen, das Feuer spielte auf ihrem starken schönen Gesicht.
    »Und dann fängt sie wirklich an zu kämpfen. Ich habe ihr die Knie so fest in die Seiten gedrückt, es ist ein Wunder, dass keine Rippe gebrochen ist. Und während wir so aufeinander losgehen, reiße ich ihr Hemd auf, und jetzt werden die Typen wirklich wild und sehen nicht, wie ich meine Pistole aus dem Knöchelholster ziehe. Ich fange an zu schießen. Und schieße, schieße, schieße.« Ihre Stimme erstarb.
    Ich beugte mich vor und nahm sie in die Arme.
    »Ich hatte ganz weite Jeans an, um meine Sig zu verstecken. Angeblich habe ich elf Runden verschossen. Ich kann mich nicht erinnern, dass das leere Magazin auf den Boden fiel und ich nachgeladen habe. Überall sind Agenten, und irgendwie schleife ich Jo zur Tür hinaus. Sie blutet stark aus dem Kopf.«
    Lucys Unterlippe zitterte, als sie weiterzusprechen versuchte.
    Ihre Stimme klang wie aus weiter Ferne. Sie war nicht hier. Sie war dort und erlebte alles noch einmal.
    »Ich schieße, schieße, schieße. Ihr Blut ist auf meinen Händen.
    Ich schlage immer wieder auf sie ein. Ich spüre noch immer ihr Gesicht an meinen Handflächen.«
    Sie blickte auf ihre Hand, als sollte sie getötet werden.
    »Ich habe gefühlt, wie weich ihre Haut war. Und sie blutete.
    Weil ich sie geschlagen habe. Die Haut, die ich gestreichelt und geliebt habe, hat wegen mir geblutet. Dann Schüsse, Schüsse, Schüsse und Rauch, und in meinen Ohren dröhnt es, es ist wie ein Feuersturm. Dann ist es vorbei, und ich weiß, dass sie tot ist.«
    Sie senkte den Kopf und weinte leise, und ich streichelte ihr Haar.
    »Du hast ihr Leben gerettet. Und deins auch«, sagte ich schließlich. »Jo weiß, was du getan hast und warum, Lucy. Sie sollte dich dafür nur umso mehr lieben.«
    »Diesmal bin ich in Schwierigkeiten, Tante Kay«, sagte sie.
    »Du bist eine Heldin. Das bist du.«
    »Nein. Du verstehst nicht. Es spielt keine Rolle, ob die Schießerei gerechtfertigt war. Es spielt keine Rolle, ob mir das ATF eine Medaille verleiht.«
    Sie stand auf. Sie schaute auf mich herunter, in ihren Augen Niedergeschlagenheit und etwas anderes, was ich nicht interpretieren konnte. Vielleicht war es Schmerz. Als Benton ermordet wurde, hatte sie keinen Schmerz gezeigt. Alles, was ich gesehen hatte, war Wut gewesen.
    »Die Kugel, die sie ihr aus dem Bein geholt haben. Sie stammte aus meiner Pistole.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
    »Ich habe sie angeschossen, Tante Kay.«
    »Auch wenn du es warst -«
    »Was, wenn sie nie wieder wird gehen können? Was, wenn sie sich wegen mir einen anderen Beruf suchen muss?«
    »Sie wird in nächster Zukunft aus keinem Hubschrauber springen«, sagte ich. »Aber sie wird wieder werden.«
    »Was, wenn ich ihr Gesicht mit meinen Fäusten dauerhaft entstellt habe?«
    »Lucy, hör mir zu«, sagte ich. »Du hast ihr das Leben gerettet.
    Wenn du dafür zwei Menschen töten musstest, dann ist es eben so. Es ist ja nicht so, als ob du es wolltest.«
    »Und ob ich das wollte«, sagte sie. »Ich wünschte, ich hätte alle erschossen.«
    »Das meinst du nicht ernst.«
    »Vielleicht werde ich Söldnerin«, sagte sie voll Bitterkeit. »Wollen Sie einen Mörder, Vergewaltiger, Autodieb, Kinderschänder, Drogenhändler loswerden? Dann wählen Sie null-achthundert-L-U-C-Y.«
    »Durch Töten machst du Benton nicht wieder lebendig.«
    Sie schien mich immer noch nicht zu hören.
    »Er hätte nicht gewollt, dass du dich so fühlst«, sagte ich.
    Das Telefon klingelte.
    »Er hat dich nicht im Stich gelassen, Lucy. Du darfst nicht wütend auf ihn sein, weil er gestorben ist.«
    Das Telefon klingelte zum dritten Mal, und sie konnte sich nicht länger zurückhalten. Sie hob ab, unfähig, die Hoffnung und Angst in ihren Augen zu verbergen. Ich brachte es nicht über mich, ihr zu erzählen, was Dr. Worth zu mir gesagt hatte. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt.
    »Ja, einen Augenblick«, sagte sie. Enttäuschung und Kränkung standen ihr ins Gesicht geschrieben, als sie mir den Hörer reichte.
    »Ja«, meldete ich mich widerwillig.
    »Spreche ich mit Dr. Scarpetta?«, fragte eine unbekannte Stimme. »Wer ist dran?«
    »Ich muss mich vergewissern, dass ich mit der richtigen Person

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