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Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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albtraumhaft langweilig, außer man mochte Winkelmesser, Trigonometrie und war ein analer Charakter. Jeder winzige Blutfleck hatte seine eigene Trajektorie von der Wunde zu der Stelle, wo er auftraf, zum Beispiel eine Wand, und, abhängig von Geschwindigkeit, Entfernung und Winkeln, eine ganz spezifische Form, die eine blutige Geschichte erzählte.
    Obwohl heutzutage Computer die gleichen Ergebnisse liefern, wurden diese zeitaufwändige Arbeit am Tatort durchgeführt, weil alle von uns, die schon einmal vor Gericht ausgesagt hatten, wussten, dass Geschworene lieber die leuchtend bunten Fäden in einem plastischen dreidimensionalen Modell studierten als schraffierte Linien auf einem Computerdiagramm.
    Aber die exakte Position des Opfers bei jedem Schlag zu errechnen war überflüssig, außer es kam auf Zentimeter an, was hier nicht der Fall war. Ich brauchte diese Messungen nicht, um zu wissen, dass es sich nicht um Selbstmord, sondern um Mord handelte, oder dass der Mörder vor Wut außer sich gewesen sein musste.
    »Wir müssen sie ins Leichenschauhaus bringen«, sagte ich zu Marino. »Lassen wir sie wegschaffen.«
    »Ich kann mir nicht erklären, wie er reingekommen ist«, sagte Ham. »Sie war Polizistin. Man sollte annehmen, dass sie einem Fremden nicht die Tür aufmacht.«
    »Vorausgesetzt er war ein Fremder.«
    »Mann, es war derselbe verdammte Irre, der die Frau im Quik Cary umgebracht hat. Er muss es gewesen sein.«
    »Dr. Scarpetta?«, hörte ich Harris im Flur sagen.
    Ich drehte mich erschrocken um. Ich dachte, er wäre gegangen.
    »Wo ist ihre Waffe? Hat man sie schon gefunden?«, fragte Marino. »Bis jetzt nicht.«
    »Kann ich Sie einen Moment sprechen?«, fragte mich Harris.
    Marino bedachte Harris mit einem schmutzigen Blick und ging ins Bad, von wo er etwas zu laut rief: »Ihr denkt dran, die Abflüsse und Rohre zu überprüfen, klar?«
    »Machen wir, Boss.«
    Ich trat zu Harris auf den Flur, und wir entfernten uns ein Stück von der Tür, so dass niemand hören konnte, was er mir zu sagen hatte. Richmonds Polizeichef hatte sich der Tragödie ergeben.
    Wut war Angst gewichen, und ich vermutete, dass das seine Leute nicht sehen sollten. Er trug sein Jackett über dem Arm, sein Hemdkragen war geöffnet, die Krawatte gelockert. Er atmete schwer.
    »Sind Sie in Ordnung?«, fragte ich ihn.
    »Asthma.«
    »Haben Sie etwas zum Inhalieren?« »Gerade gemacht.«
    »Nehmen Sie's nicht so schwer, Chief Harris«, sagte ich gelassen, denn Asthma konnte schnell gefährlich werden, und Stress machte es noch schlimmer.
    »Hören Sie«, sagte er, »es hat Gerüchte gegeben. Sie hatte irgendetwas mit gewissen Aktivitäten in D.C. zu tun. Ich wusste nichts davon, als ich sie angestellt habe. Woher sie ihr Geld kriegt«, fügte er hinzu, als wäre Diane Bray nicht tot. »Und ich weiß, dass Anderson ihr hinterher läuft wie ein Hündchen.«
    »Vielleicht lief sie ihr auch hinterher, wenn Bray nicht damit rechnete«, sagte ich.
    »Sie sitzt draußen in einem Streifenwagen«, sagte er, als wüsste ich das nicht selbst.
    »Es ist nicht an mir, meine Meinung darüber zu äußern, ob sich jemand des Mordes schuldig gemacht hat oder nicht«, sagte ich, »aber ich denke nicht, dass Anderson hierfür verantwortlich ist.«
    Er holte erneut sein Spray heraus und atmete zwei Mal durch.
    »Chief Harris, der sadistische Mörder, der Kim Luong umgebracht hat, läuft frei herum. Der M.O. hier ist derselbe. Er ist zu einmalig, als dass es jemand anders sein könnte. Zu wenig Einzelheiten wurden bekannt gegeben, als dass es einen Nachahmer geben könnte - viele Details kennen nur Marino und ich.«
    Er kämpfte um Luft.
    »Verstehen Sie?«, fragte ich. »Sie wollen sicher nicht, dass noch mehr Menschen auf diese Weise sterben müssen. Denn er wird es wieder tun. Und zwar bald. Er verliert blitzschnell die Kontrolle über sich. Vielleicht weil er seinen sicheren Hafen in Paris verlassen und jetzt wie ein gejagtes wildes Tier ohne Versteck ist. Er ist außer sich, verzweifelt. Vielleicht fühlt er sich provoziert und führt uns an der Nase herum«, fügte ich hinzu und fragte mich, was Benton gesagt hätte. »Wer weiß schon, was in einem Kopf wie dem seinem vor sich geht.«
    Harris räusperte sich.
    »Was wollen Sie, dass ich tue?«, fragte er.
    »Eine Pressemitteilung und zwar sofort. Wir wissen, dass er französisch spricht. Möglicherweise leidet er unter einer angeborenen Krankheit, die sich in einer extremen Behaarung äußert.

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