Blinder Passagier
unternommen.«
»Ich habe erst vor kurzem davon erfahren.« »Was mich nur bestätigt.«
»Das ist lächerlich. Rose enthält mir keine Information vor«, sagte ich.
»Die Leute fassen auch sie mit Samthandschuhen an. Stellen Sie sich den Tatsachen, Dr. Scarpetta. Im Büro ist sie Ihre Informantin. Die Leute vertrauen sich ihr nicht an.«
Ich zwang mich, mich zu konzentrieren, während seine Worte meine Gefühle und meinen Stolz verletzten. Ich fuhr damit fort, Gewebe abzuziehen, achtete darauf, keine Löcher hineinzustechen oder es zu zerschneiden. Ruffin wartete auf meine Reaktion. Ich sah ihm in die Augen.
»Ich habe keine Informantin«, sagte ich. »Ich brauche keine.
Alle Mitarbeiter meines Büros wissen, dass sie jederzeit zu mir kommen und alles mit mir besprechen können.«
Sein Schweigen wirkte wie eine schadenfrohe Anklage. Er behielt seine trotzige, selbstgefällige Pose bei und genoss die Situation. Ich stützte mich mit den Händen auf den Stahltisch.
»Ich denke nicht, dass ich mich vor irgendjemandem rechtfertigen muss, Chuck«, sagte ich. »Ich denke, dass Sie der Einzige unter meinen Angestellten sind, der Probleme mit mir hat. Ich kann natürlich verstehen, warum Sie mit einer Frau als Boss Schwierigkeiten haben, da alle mächtigen Figuren in Ihrem Leben Frauen waren.«
Das Leuchten in seinen Augen erlosch, als ich auf diesen Schalter drückte. Dann verzerrte Wut sein Gesicht. Ich ging wieder daran, schlüpfriges, leicht reißbares Gewebe abzulösen.
»Aber ich weiß es zu schätzen, dass Sie gesagt haben, was Sie denken«, sagte ich in kühlem gelassenem Tonfall.
»Das denke nicht nur ich«, erwiderte er barsch. »Tatsache ist, alle glauben, dass Sie auf dem Weg hinaus sind.«
»Es freut mich, dass Sie zu wissen scheinen, was alle glauben«, entgegnete ich, ohne mir den Zorn anmerken zu lassen, den ich empfand.
»Das ist nicht schwer. Ich bin nicht der Einzige, dem aufgefallen ist, dass Sie die Dinge nicht mehr so handhaben wie früher. Und Sie wissen es auch. Das müssen Sie zugeben.«
»Sagen Sie mir, was ich zugeben soll.«
Er schien eine Liste bereit zu haben.
»Dinge, die untypisch für Sie sind. Dass Sie bis zur Erschöpfung arbeiten und zu Tatorten gehen, zu denen Sie überhaupt nicht müssen. Deswegen sind Sie ständig müde und merken nicht, was hier vor sich geht. Und wenn Angehörige von Verstorbenen anrufen, nehmen Sie sich nicht mehr wie früher die Zeit, um mit ihnen zu reden.«
»Was für Angehörige?« Ich war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. »Ich spreche immer mit den Familien, mit jedem, der mich darum bittet, so lange die Person ein Recht auf Information hat.«
»Vielleicht sollten Sie sich mal bei Dr. Fielding erkundigen, wie viele Anrufe er entgegengenommen hat, mit wie vielen Familien, die eigentlich Ihre Fälle waren, er gesprochen hat, wie oft er für Sie eingesprungen ist. Und dann Ihr Ding im Internet. Das geht wirklich zu weit. Das ist einfach zu viel.«
Ich war baff.
»Was für ein Ding im Internet?«, fragte ich.
»Ihre Chats oder was immer es ist, was Sie tun. Um ehrlich zu sein, ich habe keinen Computer zu Hause und habe es nicht selbst gesehen.«
Bizarre wütende Gedanken schwirrten mir durch den Kopf wie ein Schwarm Stare und verdunkelten das Bild, das ich bislang von meinem Leben gehabt hatte. Myriaden hässlicher schwarzer Gedanken schlugen ihre Krallen in meinen Verstand.
»Ich wollte nicht, dass Sie sich schlecht fühlen«, sagte Chuck.
»Und Sie wissen hoffentlich, dass ich verstehe, wie alles so kommen konnte. Nach allem, was Sie durchgemacht haben.«
Ich wollte kein gottverdammtes Wort mehr über das hören, was ich durchgemacht hatte.
»Danke für Ihr Verständnis, Chuck«, sagte ich und sah ihm in die Augen, bis er wegblickte.
»Wir erwarten diesen Fall aus Powhatan, er sollte mittlerweile hier sein. Wenn Sie wollen, gehe ich nachsehen«, sagte er, erpicht, den Raum zu verlassen.
»Tun Sie das, und dann verstauen Sie diese Leiche wieder im Kühlschrank.«
»Klar«, sagte er.
Die Türen schlossen sich hinter ihm, im Raum herrschte Stille.
Ich löste das letzte Stück Gewebe ab und legte das Ganze auf das Korkbrett, während eiskalte Paranoia und Selbstzweifel unter der schweren Tür meiner Selbstsicherheit hereinkrochen. Ich begann die Haut mit Haarnadeln festzustecken, spannte und maß sie. Dann legte ich das Brett in eine chirurgische Schale, bedeckte es mit einem grünen Tuch und stellte die Schale in den
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