Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
Zaun im Nebel.
    Dr. Wagner, andere Kabinettsmitglieder und der Generalstaatsanwalt arbeiteten in einem Bürogebäude in der Ninth Street, und die Sicherheitsvorkehrungen waren so extrem geworden, dass ich mir wie eine Verbrecherin vorkam, wenn ich es betrat.
    Gleich hinter der Tür stand ein Tisch, auf dem ein Polizeibeamter meine Tasche durchsuchte.
    »Wenn Sie etwas finden«, sagte ich, »lassen Sie es mich wissen, weil ich nämlich nichts darin finden kann.«
    Der lächelnde Beamte, ein kurzer stämmiger Mann, ungefähr Mitte Dreißig, kam mir bekannt vor. Er hatte schütteres braunes Haar und ein Gesicht, das auf jungenhafte Art süß gewesen sein musste, bevor die Jahre und die Pfunde anfingen, ihm zuzusetzen.
    Ich hielt ihm meinen Ausweis hin, aber er warf nur einen flüchtigen Blick darauf.
    »Den brauche ich nicht«, sagte er gut gelaunt. »Erinnern Sie sich an mich? Ich war ein paar Mal in Ihrem Büro, als Sie noch dort drüben waren.«
    Er deutete in die Richtung meines alten Gebäudes in der Fourteenth Street, das nur fünf Blocks weiter östlich war.
    »Rick Hodges«, sagte er. »Die Urangeschichte damals. Wissen Sie noch?«
    »Natürlich«, sagte ich. »Nicht gerade einer unserer besten Momente.«
    »Wingo und ich sind manchmal zusammen ausgegangen.
    Wenn nichts los war, hab ich ihn während der Mittagspause gelegentlich besucht.«
    Ein Schatten verdüsterte sein Gesicht. Wingo war der beste, sensibelste Mann gewesen, der je die Aufsicht über mein Leichenschauhaus gehabt hatte. Vor ein paar Jahren war er an Pocken gestorben. Ich drückte Hodges Schulter.
    »Ich vermisse ihn immer noch«, sagte ich. »Sie können sich gar nicht vorstellen wie sehr.«
    »Haben Sie noch Kontakt zu seiner Familie?«, fragte er leise.
    »Von Zeit zu Zeit.«
    An der Art, wie ich es sagte, merkte er, dass Wingos Familie nicht gern über ihren homosexuellen Sohn sprach und auch nicht wollte, dass ich sie anrief. Erst recht wollten sie nicht, dass Hodges oder ein anderer von Wingos Freunden sich meldeten.
    Hodges nickte, in seinen Augen sah ich Schmerz. Er versuchte, ihn fortzulächeln.
    »Der Junge hielt große Stücke auf Sie, Doc«, sagte er. »Das wollte ich Ihnen schon seit langem sagen.«
    »Das bedeutet mir viel«, sagte ich mit Nachdruck. »Danke, Rick.«
    Ich passierte den Scanner problemlos, und er reichte mir meine Tasche.
    »Kommen Sie bald mal wieder«, sagte er.
    »Mach ich.« Ich sah ihm in die jungen blauen Augen. »Ich fühle mich sicherer, wenn Sie in der Nähe sind.«
    »Wissen Sie, wohin Sie müssen?«
    »Ich glaube schon.«
    »Denken Sie daran, dass der Aufzug einen eigenen Willen hat.«
    Ich ging abgetretene Granittreppen hinauf bis in den sechsten Stock, wo Sinclair Wagners Büro auf den Capitol Square hinunterblickte. An diesem dunklen verregneten Morgen sah ich kaum die Reiterstatue von George Washington. Die Temperatur war über Nacht um fünfzehn Grad gefallen, und die Regentropfen waren klein und hart wie Schrotkugeln.
    Das Wartezimmer des Staatsministers für Gesundheit war hübsch eingerichtet mit Möbeln im Kolonialstil und Flaggen, die eigentlich nicht Dr. Wagners Sache waren. Sein Büro war vollgestopft und unaufgeräumt. Es verriet einen Mann, der extrem hart arbeitete und seine Machtbefugnisse untertrieb. Dr. Wagner war in Charleston, South Carolina, geboren und aufgewachsen, wo sein Rufname, Sinclair, Sinkler ausgesprochen wurde. Er war Psychiater mit einem Abschluss in Jura, und in seinen Zuständigkeitsbereich fiel das gesamte Gesundheitswesen inklusive Krankenversicherung, Drogen-politik, Sozialdienste und Psychiatrie. Bevor er Minister wurde, war er Professor am Medical College of Virginia, MCV, gewesen, und ich respektierte ihn seit jeher enorm und wusste, dass auch er mich respektierte.
    »Kay.« Er schob seinen Stuhl vom Schreibtisch zurück und stand auf. »Wie geht es Ihnen?«
    Er bat mich, auf der Couch Platz zu nehmen, schloss die Tür und kehrte hinter die Barriere seines Schreibtisches zurück, was kein guten Zeichen war.
    »lch freue mich, dass es in der Gerichtsmedizin so gut läuft. Und Sie?«, fragte er mich.
    »Sehr«, sagte ich. »Es ist anstrengend, aber es läuft besser, als ich je gehofft habe.«
    Er nahm seine Pfeife und seinen Tabaksbeutel aus dem Aschenbecher.
    »Ich habe mich schon gefragt, was mit Ihnen los ist«, fuhr er fort. »Sie scheinen von der Erdoberfläche verschwunden zu sein.«
    »Ich weiß nicht, warum Sie das sagen. Ich bearbeite so viele Fälle wie

Weitere Kostenlose Bücher