Blinder Passagier
siehst«, sagte ich.
»Doch. Und die Sendungen mit echten Polizisten. Das mag klingen, als würde ich Klebstoff schnüffeln, aber ist dir schon aufgefallen, wie alles in der Welt den Bach runter geht, seit Bray in der Stadt ist?«
»Kein Wunder, dass es dir so vorkommt nach dem, was sie dir angetan hat.«
»Hm. Und tut sie dir nicht das Gleiche an?«, provozierte er mich und nippte an seinem Drink. »Ich bin hier nicht der Einzige, den sie ausmanövrieren will.«
»Ich glaube nicht, dass sie die Macht hat, alles, was in unserem Leben passiert, zu verursachen«, erwiderte ich.
»Ich werde die Liste für dich durchgehen, Doc, und denk dran, es handelt sich um einen Zeitraum von drei Monaten, okay? Sie kommt in Richmond an. Ich muss wieder Uniform tragen. Du hast plötzlich einen Dieb in deinem Büro. Sie hat einen Informanten, der in deinem Namen E-Mails verschickt und dich zur Lieben Dr. Kay macht.
Dann taucht dieser Tote im Container auf, und plötzlich ist Interpol mit im Bild, heute bringt Lucy zwei Menschen um, was Bray im Übrigen nur recht sein kann. Vergiss nicht, sie ist ganz scharf drauf, Lucy nach Richmond zu holen, und wenn das ATF Lucy zurück ins Wasser wirft wie einen Fisch, dann braucht sie einen Job. Und ach ja, jemand hat dich verfolgt.«
Ich sah zu, wie ein junger großartiger Liberace Klavier spielte und sang, während im Off ein Freund darüber sprach, was für ein liebenswerter, großzügiger Musiker er gewesen war.
»Du hörst mir nicht zu«, sagte Marino laut. »Ich höre zu.«
Er hievte sich mit einem verärgerten Ächzen aus dem Sessel und tappte in die Küche.
»Hast du was von Interpol gehört?«, rief ich, während er in einer Besteckschublade kramte und eine Menge Lärm dabei machte.
»Nichts, was sich lohnt zu erzählen.« Die Mikrowelle brummte.
»Es wäre nett, wenn du es trotzdem tätest«, sagte ich ärgerlich.
Liberace warf im Scheinwerferlicht Kusshände, und die Pailletten an seiner Kleidung blitzten auf wie ein intensiv rotes und goldenes Feuerwerk. Marino kam ins Wohnzimmer zurück, eine Schüssel mit zerbrochenen Kartoffelchips und ein Behältnis mit einer Art Dip in den Händen.
»Unser Verbindungsmann hat innerhalb einer Stunde per Computer eine Bitte um mehr Informationen zurückgekriegt. Das ist alles.«
»Das sagt uns eine ganze Menge«, sagte ich enttäuscht. »Das heißt wahrscheinlich, dass sie nichts haben, was zu den auffälligen Merkmalen passt. Der alte Kieferbruch, der ungewöhnliche zusätzliche Höcker auf dem Mahlzahn, ganz zu schweigen von den Fingerabdrücken. Niemand mit solchen Kennzeichen wird gesucht oder vermisst.«
»Ja. Der Fall ist eine harte Nuss«, sagte er mit vollem Mund. Er hielt mir die Schüssel hin.
»Nein, danke.«
»Schmeckt wirklich gut. Man schmilzt den Streichkäse in der Mikrowelle und tut dann Jalapenos rein. Viel gesünder als Zwiebeldip.«
»Ganz bestimmt.«
»Weißt du, ich hab ihn immer gemocht.« Er deutete mit einem fettigen Finger auf den Fernseher. »Mir egal, dass er schwul war.
Du musst zugeben, er hatte Stil. Wenn die Leute so viel Geld für Platten und Konzertkarten ausgeben, dann sollten sie auch jemanden dafür kriegen, der nicht so aussieht und tut wie Hinz und Kunz auf der Straße.
Ich sag dir was«, fuhr Marino mit vollem Mund fort, »Schießereien sind Scheiße. Du wirst auseinander genommen, als hättest du versucht, den verdammten Präsidenten umzubringen, und dann wirst du psychologisch beraten und alle machen sich Sorgen wegen deiner geistigen Gesundheit, bis du endgültig verrückt wirst.«
Er kippte einen Schluck Bourbon und mampfte mehr Chips.
»Sie wird eine Zeit lang freigestellt werden«, sagte er. »Und die Kriminalpolizei von Miami wird den Fall bearbeiten, wie sie Mordfälle immer bearbeitet. Müssen sie ja. Und jede Menge Scheiße wird darüber geschrieben werden.«
Er blickte zu mir und wischte sich die Hände an seiner Jeans ab.
»Ich weiß, dass du das nicht gern hören wirst, aber vielleicht bist du die Letzte, die Lucy im Augenblick sehen möchte«, sagte er.
20
Es gab eine Regel in unserem Gebäude, wonach jedes Beweisstück, sogar etwas so Harmloses wie eine Karte mit Fingerabdrücken, im Lastenaufzug transportiert werden musste. Der befand sich am Ende eines Korridors, wo in diesem Augenblick zwei Putzfrauen ihre Wagen vor sich herschoben. Ich war unterwegs zu Neils Vanders Labor.
»Guten Morgen, Merle. Und Beatrice, wie geht es Ihnen?« Ich lächelte ihnen zu.
Ihre
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