Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
und Ham, auch die Breakfast Boys genannt, Punkte mit Fäden verbanden, obwohl es in diesem Fall nicht nötig war. Ich fuhr nach Hause.
    Bäume und Gras waren mit Eis überzogen, und ich dachte, dass es mich nicht wundern würde, wenn die Stromversorgung zusammengebrochen wäre, und genau so war es auch.
    Als ich in mein Viertel kam, waren alle Häuser dunkel, und Rita, die unsere Nachbarschaft bewachte, sah aus, als würde sie in ihrem Häuschen eine Seance abhalten.
    »Bitte nicht«, sagte ich zu ihr.
    Kerzenflammen flackerten hinter dem gläsernen Fenster, als sie herauskam und ihre Jacke fest um sich zog.
    »Seit halb zehn ist der Strom weg«, sagte sie kopfschüttelnd.
    »Das Einzige, was diese Stadt zu bieten hat, ist Eis.«
    Meine Nachbarschaft war so dunkel, als befänden wir uns im Krieg, und der Himmel war zu bewölkt, um den Mond auch nur erahnen zu können. Ich hatte Mühe meine Einfahrt zu finden und stürzte fast, als ich die vereiste Steintreppe hinaufging. Ich hielt mich am Geländer fest und fand irgendwie den richtigen Schlüssel, um die Tür aufzuschließen. Die Alarmanlage funktionierte noch, weil sie im Notfall von Batterien versorgt wurde, aber die Batterien waren nach zwölf Stunden leer, und Stromausfälle aufgrund von Eis konnten Tage dauern.
    Ich gab meinen Code ein und schaltete die Alarmanlage erneut ein. Ich brauchte eine Dusche. Auf keinen Fall würde ich in die Garage gehen, um meine Kleidung in die Wäsche zu werfen.
    Der Gedanke, nackt durch mein stockfinsteres Haus zu laufen und mich unter eine ebenso dunkle Dusche zu stellen, erfüllte mich mit Entsetzen. Die Stille war absolut, abgesehen vom leisen Prasseln des Schneeregens.
    Ich suchte Kerzen und stellte sie an strategischen Stellen im Haus auf. Ich suchte Taschenlampen. Ich machte ein Feuer im Kamin, und das große Zimmer war eine dunkle Tasche, in der Schatten von kleinen Scheiten und dünnen Flammenfingern hin und her geworfen wurden. Zumindest funktionierte das Telefon noch, aber der Anrufbeantworter hatte natürlich den Geist aufgegeben.
    Ich konnte nicht still sitzen. In meinem Schlafzimmer zog ich mich schließlich aus und wusch mich mit einem Waschlappen.
    Ich zog einen Bademantel und Hausschuhe an und überlegte, was ich tun sollte, denn ich wollte meinen Gedanken keine Muße gönnen. Ich stellte mir vor, dass Lucy angerufen hatte, ich ihre Nachricht aber nicht abhören konnte. Ich schrieb Briefe, zerknüllte sie und warf sie ins Feuer. Ich sah zu, wie das Papier an den Ränder braun wurde, sich entzündete und verbrannte.
    Schneeregen prasselte, und es wurde allmählich kälter.
    Die Temperatur im Haus sank langsam, die Stunden gingen schleichend in den stillen Morgen über. Ich versuchte zu schlafen, aber ich fror. Meine Gedanken beruhigten sich nicht. Sie sprangen von Lucy zu Benton zu dem grauenhaften Fundort der Leiche, an dem ich am Abend gewesen war. Ich sah eine blutende Frau vor mir, die über den Boden geschleift wurde, kleine Eulenaugen starrten mich aus verfaulendem Fleisch an. Ich wälzte mich hin und her. Lucy rief nicht an.
    Angst nagte an mir, als ich aus dem Fenster in meinen dunklen Garten hinaussah. Mein Atem schlug sich auf dem Glas nieder, und als ich eindöste, wurde das Klick-Klick des Schneeregens zu Stricknadeln, dann zu meiner Mutter in Miami, die strickte, während mein Vater im Sterben lag. Sie strickte endlos lange Schals für die Armen an irgendeinem kalten Ort. Kein einziger Wagen fuhr vorbei. Ich rief Rita in ihrem Wachhäuschen an. Sie nahm nicht ab.
    Mein Blick verschwamm, als ich um drei Uhr erneut einzuschlafen versuchte. Äste krachten wie Schüsse, und in der Ferne fuhr ein Zug den Fluss entlang. Sein einsames Tuten schien den Einsatz zu geben zu einem kreischenden, klappernden, rumpelnden Konzert, das mich noch nervöser machte. Ich lag in der Dunkelheit, in eine Daunendecke gewickelt, und als das erste Licht den Horizont färbte, gab es wieder Strom. Minuten später rief Marino an.
    »Wann soll ich dich abholen?«, fragte er mit einer Stimme, die vom Schlaf noch heiser war.
    »Abholen? Wozu?« Ich ging erschöpft in die Küche, um Kaffee zu kochen.
    »Arbeit.«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach.
    »Hast du schon aus dem Fenster geschaut, Doc?«, fragte er. »Mit deinem Nazi-Mobil hast du heute keine Chance.«
    »Ich hab dir schon oft gesagt, dass du mein Auto nicht so nennen sollst. Das ist nicht witzig.«
    Ich ging zum Fenster und zog die Jalousie hoch. Die Welt war

Weitere Kostenlose Bücher