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Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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eingefroren, jeder Busch, jeder Baum war in Eis getaucht. Der Rasen war ein dicker starrer Teppich. Eiszapfen hingen wie gefletschte Zähne an den Giebeln, und mir war klar, dass mein Wagen so schnell nicht wieder irgendwohin fahren würde.
    »Oh«, sagte ich. »Du hast Recht.«
    Marinos großer Pickup mit den großen Schneeketten kämpfte sich fast eine Stunde lang über Richmonds Straßen, bis wir vor meinen Büro ankamen. Kein einziges Auto stand auf dem Parkplatz. Vorsichtig tappten wir auf das Gebäude zu, mehrmals zog es uns beinahe den Boden unter den Füßen weg, weil der Asphalt eine spiegelglatte Eisfläche war. In meinem Büro hängte ich meinen Mantel über den Schreibtischstuhl, und dann gingen wir in die Umkleideräume, um uns umzuziehen.
    Die Sanitäter hatten einen transportablen Autopsietisch benutzt, weswegen wir die Leiche nicht von einer Bahre wuchten mussten. Wir öffneten den Leichensack in diesem leeren Theater des Todes und nahmen das blutige Tuch weg. Unter den guten Lichtverhältnissen sahen ihre Verletzungen noch schrecklicher aus. Ich zog eine fluoreszierende, mit einem Vergrößerungsglas ausgestattete Lampe heran, justierte den Arm und schaute durch die Linse.
    Ihre vergrößerte Haut war eine Wüste aus getrocknetem, gesprungenem Blut und Schluchten aus klaffenden Wunden. Ich sammelte Haare ein, Dutzende von hellblonden feinen Haaren.
    Die meisten waren fünfzehn, achtzehn oder zwanzig Zentimeter lang. Sie klebten an ihrem Bauch, ihren Schultern und Brüsten, und ich tat sie in einen Papierumschlag, damit sie trocken blieben. Auf ihrem Gesicht fand ich keine Haare.
    Die Stunden schlichen dahin wie Diebe und stahlen uns den Vormittag, und so sehr ich auch versuchte, eine Erklärung für den zerrissenen engmaschigen Pullover und drahtverstärkten BH zu finden, es gab keine andere als die Wahrheit. Der Mörder hatte sie mit bloßen Händen zerfetzt.
    »So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte ich. »Er muss unglaublich stark sein.«
    »Vielleicht ist er auf Kokain oder Heroin oder so«, sagte Marino.
    »Das könnte auch erklären, was er mit ihr angestellt hat. Und die Gold-Dot-Munition, verstehst du. Vielleicht handelt er mit Drogen.«
    »Wenn ich mich recht erinnere, hat Lucy diese Munition erwähnt«, sagte ich.
    »Heißes Zeug auf der Straße«, sagte Marino. »Beliebt bei Drogenhändlern.«
    »Wenn er auf Drogen war«, sagte ich und legte Fasern in einen anderen Umschlag, »hätte er wahrscheinlich nicht mehr so systematisch vorgehen können. Er hat das GeschlossenSchild aufgehängt, die Tür abgesperrt und ist erst verschwunden, als er fertig war. Vielleicht hat er sich sogar gewaschen.«
    »Dafür gibt es keine Beweise«, sagte Marino. »Nichts in den Abflüssen, Waschbecken oder in der Toilette. Keine blutigen Papierhandtücher. Nichts. Nicht einmal an der Tür, durch die er den Lagerraum verlassen hat. Ich glaube, er hat etwas benutzt -vielleicht ein Kleidungsstück, ein Papierhandtuch, wer weiß -, um die Tür zu öffnen, damit der Knauf nicht blutig wird oder um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen.«
    »Das ist nicht gerade unsystematisch. So handelt niemand, der unter Drogen steht.«
    »Mir wär's lieber, er wäre auf Droge gewesen«, sagte Marino finster. »Die Alternative ist schrecklich. Ich wünschte -«
    Er beendete den Satz nicht, und ich wusste, dass er wünschte, Benton wäre hier, um uns mit seiner Erfahrung zur Seite zu stehen. Andererseits war es so einfach, sich auf jemand anders zu verlassen. Und auch nicht alle Theorien erforderten einen Experten. Jeder Tatort und jede Wunde sprechen von den Emotionen, die mit einem Verbrechen einhergehen, und dieser Mord hatte etwas Irrsinniges, etwas Sexuelles und etwas Rasendes.
    Das wurde noch offensichtlicher, als ich große, unregelmäßig geformte Quetschungen fand. Als ich sie durch die Lupe betrachtete, entdeckte ich kleine kurvilineare Abdrücke.
    »Bisswunden«, sagte ich.
    Marino kam zu mir, um sie sich anzusehen.
    »Was davon übrig ist. Sie wurde mit brutaler Gewalt geschlagen.«
    Ich veränderte die Position der Lampe und fand zwei weitere Bisswunden seitlich auf ihrer rechten Handfläche, eine auf ihrer linken Fußsohle, zwei auf ihrer rechten.
    »Herrgott noch mal«, murmelte Marino in dem genervten Tonfall, den ich nur selten von ihm hörte.
    Er ging von den Händen zu den Füßen und starrte sie an.
    »Womit haben wir es hier zu tun, Doc?«, fragte er.
    Die Wunden waren so gequetscht, dass ich nur

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