Blinder Rausch - Thriller
seiner Tochter teilzunehmen. Leonie ist das auch sehr recht. Papa ist zwar meistens die Ruhe selbst, aber nicht, wenn es um seine Kinder geht. Sie möchte nicht wissen, wie er gestern auf Lindemann reagiert hätte, als der sie so anschrie.
Der Kommissar sitzt wieder vor den Papierstapeln auf seinem Schreibtisch und wühlt und liest missmutig darin herum, ohne Leonie zu beachten. Er hat sie nur kurz begrüßt und dann mit seiner Tätigkeit begonnen. Leonie ist erleichtert, als Anja den Raum betritt und ihr unmerklich zulächelt. Anja setzt sich an ihren Arbeitsplatz und schiebt sich die Tastatur zurecht. Dann beobachtet sie geduldig ihren Kollegen.
»So!« beginnt der plötzlich und tippt auf das oberste Blatt eines Stapels, den er sich zurechtsortiert hat. »Seit gestern sind wir schlauer und haben einiges herausgefunden.«
Er wendet sich schlagartig Leonie zu. Seine kleinen schwarzen Augen sind umgeben von faltiger Haut und senden nadelspitze Blicke. »Hast du zu deiner Aussage von gestern noch einiges hinzuzufügen, oder ist dir über Nacht vielleicht eingefallen, dass das alles doch ganz anders war?«
Leonie arbeitet an einem neutralen Gesichtsausdruck und schiebt die Unterlippe nachdenklich hervor. Dann schüttelt sie ein wenig den Kopf, hält plötzlich in der Bewegung inne und sagt: »Ja. Etwas ist mir noch eingefallen.«
»Ich höre«, kommt es lauernd von Lindemann. Anjas Finger klappern auf der Tastatur. Dann berichtet Leonie von ihrem Verdacht gegen Oliver. Sie könne sich nicht genau erinnern, aber er könnte einer von denen aus dem Stadtpark gewesen sein. Dieser besagte Typ, der Oliver ähnlich sah, hatte ihr einen Becher mit einem orangefarbenen Getränk gereicht. Danach könne sie sich an nichts mehr erinnern.
Lindemann schlägt mit der flachen Hand auf den Papierstapel, sodass die umliegenden Stifte hüpfen.
»Oliver? Oliver Ritter?« Leonie nickt. Lindemann schüttelt den Kopf. Ein verbittertes Lachen bleckt seine Zähne. »So jung und schon so ausgebufft! Man glaubt es nicht. Ihr macht das schon wie die alten Profis und beschuldigt euch lustig gegenseitig. Nach Olivers Theorie ist Denise von Niklas in die Parkstraße mitgenommen worden. Du und dein Freund Niklas habt Denise in den Stadtpark gelockt und sie betrunken gemacht. Es kam zum Streit, weil du auf Denise eifersüchtig warst. Dass ihr beiden euch ständig angezickt habt, können übrigens einige deiner Klassenkameraden bestätigen. Oliver hat uns den Ausdruck von etwas mitgebracht, dass du über sie im Internet geschrieben hast. Hier am Mittwoch, den 10. August, 16 Uhr fünf hast du deine Freunde gegen sie aufgewiegelt und wörtlich geschrieben: Ich könnte sie killen, die ratte. Das war eine Morddrohung, Mädchen!« Leonie wird blass. Sie will erklären, dass das nicht so gemeint war, dass das eine Riesendummheit von ihr war. Wie hätte sie denn damals auch nur ansatzweise denken können, dass dies eines Tages grausame Wahrheit werden würde? Doch der Polizist lässt sie nicht zu Wort kommen. Er bellt weiter: »Oliver kann sich vorstellen, dass du und Niklas Denise geschlagen und in den Teich geworfen habt. Nach dieser Theorie würden deine Verletzungen von der Schlägerei mit Denise stammen. Du wärst die Haupttäterin und Niklas dein Komplize.«
Leonie blickt Lindemann entsetzt an und schaut dann hilfesuchend zu Anja. Doch die starrt auf ihren Bildschirm und kontrolliert das Geschriebene.
»So war das nicht!«, stößt Leonie hervor. »Das erzählt Oliver nur, weil er es in Wirklichkeit selbst war. Hier, er bedroht mich sogar!« Leonie hält Lindemann ihr Handy hin. Lindemann liest. »Woher weißt du, dass das von Oliver kommt?«, fragt er. »Von wem sonst? Das ist genau seine Art!«, bekräftigt Leonie. Lindemann gibt das Handy an Anja weiter. »Können wir trotzdem herausfinden, woher das kommt?« Sie liest und meint: »Man kann es versuchen. Aber die Frage ist, ob das den Aufwand rechtfertigt. Wir können ihn auch einfach damit konfrontieren und ihn auffordern, das zu unterlassen.«
»Ist wohl die bessere Idee. Kinderkram«, knurrt er. Dann schaut er Leonie an. Sie fühlt sich, als werde sie von einem Fleischerhund belauert, der darüber nachdenkt, ob es sich bei ihr lohnt, zuzuschnappen.
»Eigentlich hat er ja schon aufgehört damit, nämlich genau in dem Moment, als er bemerkte, dass ich ihn erkannt hatte«, steuert Leonie beschwichtigend bei. Lindemann nickt. Er blinzelt sie durch seine Lesebrille an und hakt noch einmal
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