Blinder Rausch - Thriller
anderen hievten. Vermutlich war das Gebäude hier auch so eingerichtet. Bestimmt war Niklas dort hinaufgestiegen, weil er sich von oben den sicheren Überblick versprach.
Leonie hält nach seinem Fahrrad Ausschau, kann es jedoch nicht entdecken. Sicher hat er es versteckt. Auch sie muss sich jetzt erst einmal nach einer Rückzugsmöglichkeit umsehen, hier, sozusagen auf dem Präsentierteller, kann sie nicht bleiben. Auf der gegenüberliegenden Seite des Wendeplatzes entdeckt sie ein von hohen Bäumen und Büschen umwachsenes Grundstück. Sie schiebt ihr Rad zu dem rostigen, schmiedeeisernen Gartentor, das schief in den Angeln hängt. Ihr erster Blick fällt auf die Ruine einer alten Villa. Die inzwischen zugewucherte Einfahrt führt auf ein weiträumiges Gelände, das früher vermutlich einmal mit einem schönen Rasen und Kieswegen angelegt war. In der tiefen Dämmerung hat das Haus mit seinen Schnörkelgittern vor den dunklen Fensterhöhlen, den Erkern und griechischen Säulen etwas von einem Spukschloss. Vielleicht hat hier früher einmal der Fabrikbesitzer residiert?
Im tiefen Schatten der zu beiden Seiten wuchernden Büsche schiebt Leonie ihr Rad vorsichtig durch das Tor und hat schließlich den Blick frei auf die gesamte verwilderte Fläche vor dem Haus. Sie zuckt zusammen. Dort, rechts um die Ecke, steht ein helles Auto. Es ist gut geschützt vor dem direkten Blick von der Straße her. Es ist kein Schrottauto, wie es hier eigentlich hinpassen würde. Vorsichtig zieht Leonie sich wieder zurück, drückt sich an die Büsche und schaut zwischen den Zweigen hindurch zu dem Wagen hin. Der Fahrer ist als dunkler Umriss zu erkennen. Er wiegt den Kopf im Takt. Anscheinend hat er Stöpsel in den Ohren und hört Musik. Kein Wunder also, dass er sie trotz der herabgelassenen Seitenscheibe nicht bemerkte. Ab und an glüht eine Zigarette auf und die Rauchschwaden ziehen davon. Leonie mustert die Silhouette des Fahrers eingehend und zuckt zurück. Es ist Frederik!, schießt es ihr plötzlich durch den Kopf. Schnell zieht sie ihr Fahrrad rückwärts aus der Einfahrt und schiebt es so vorsichtig sie kann an der Straßenseite des Grundstückes entlang. Wegen der dichten Hecke kann der Autofahrer sie hier nicht sehen.
Das Nachbargrundstück ist unbebaut und eine Art Schuttabladeplatz, der von Büschen und Bäumchen überwuchert ist. Es erstreckt sich bis zu dem Saum an Bäumen und wilden Hecken, hinter dem die Bahngleise verlaufen. Leonie geht vorsichtig einige Meter in das Nachbargrundstück hinein. Dabei achtet sie darauf, sich dicht im Schatten der zerzausten Hecke des Villengrundstückes zu bewegen. Frederik scheint sie tatsächlich nicht bemerkt zu haben. Jedenfalls hat sie kein Türenschlagen gehört. Also sitzt er noch immer in seinem Auto und hört Musik. Aber warum überhaupt ist er hier? Durch die Zweige kann sie nun aus einem anderen Blickwinkel schemenhaft den hellen Lack des Autos erkennen. Vielleicht war es doch nicht Frederik und sie hat dies nur daraus geschlossen, dass das Auto sie an seines erinnerte? Sie kennt von Frederiks Wagen weder das Nummernschild noch die Marke. Was kennt sie überhaupt von ihm? Aber das interessiert sie auch nicht mehr, stellt sie nüchtern fest.
Der Blick auf das Fabrikgelände ist ihr durch die verwilderte Hecke, die sich bauschig über die Grundstücksgrenze wölbt, verwehrt. Leonie atmet ein wenig ruhiger, denn hier im schwarzen Schatten des Pflanzengewirrs fühlt sie sich gut geschützt. Allerdings kann auch sie nur noch wenig erkennen. Sie muss sich in erster Linie auf ihre Ohren verlassen und auf ihr Handy. Sie zieht es hervor und starrt gebannt auf das Display, das in der Dunkelheit gut sichtbar aufflammt. Es ist Viertel vor Zehn. Sie schaut zum nächtlichen Spätsommerhimmel hinauf. Zwischen den düsteren Wolken flammen silbrige Streifen auf. Einen kurzen Moment ist die hell leuchtende, fast vollständige Mondscheibe zu sehen. Die Straßenlaternen werfen ihr schummeriges Licht durch die Zweige. Allmählich gewöhnen sich die Augen an die Lichtverhältnisse und lassen Einzelheiten auftauchen. Ringsherum liegen Flaschen, zerbeulte Eimer und aufgeplatzte Müllsäcke, aus denen Undefinierbares herausquillt. Eigentlich ist es eine Szene wie in einem Gruselfilm, denkt Leonie. Irgendwo raschelt trockenes Gras. Ein kleiner Zweig knackt. Dann wird alles verschluckt vom Getöse des nächsten Zuges. Plötzlich schiebt sich von hinten eine Hand über Leonies Mund und presst sich fest
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