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Blindes Grauen

Blindes Grauen

Titel: Blindes Grauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Abercrombie
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des Treuhänderfonds-Vertrages ausfindig zu machen, um hinter die ganze Sache zu kommen. Aber irgendwann wurde Ihnen klar, dass Sie mich da durchlotsen müssen. Und wie sollten Sie das tun, ohne zu verraten, dass Sie eine Frau sind?«
    Lane Priest starrte trotzig in die Ferne.
    »Flüstern!« sagte MeChelle. »Sie haben geflüstert. Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Flüstern einer Frau und dem eines Mannes. Also haben Sie geflüstert.«
    »Nur mal angenommen, das wäre wahr«, sagte Lane. »Wie hätte ich Ihnen denn dann den Vertrag vorlesen sollen? Das war nicht in Braille.«
    »Vielleicht haben Sie einen Scanner in Ihrem Organizer, der Text in Braille verwandelt? Nein, ich nehme das zurück. Sie haben wahrscheinlich den gesamten Text direkt in Ihrem kleinen Organizer, oder?«
    Lane Priest schüttelte den Kopf.
    »Wie lange haben Sie das Ganze geplant?«, fragte Gooch.
    Lanes versteinertes Gesicht wurde ein wenig weicher, und ein winzig kleines Lächeln huschte darüber.
    »Sie haben den Stoffhasen gefunden, oder? Ihr Mann hat ihn als Trophäe aufbewahrt, nicht wahr? Er konnte nicht widerstehen. Irgendwo bei den Sachen Ihres Mannes haben Sie den Hasen gefunden, den Vincent Meredith Ihnen in der Nacht weggenommen hat, in der Ihre Mutter starb. Und da wussten Sie Bescheid.«
    Das kleine Lächeln blieb in Lanes Gesicht hängen. Aber sie sagte nichts.
    »Wie viele Jahre? Fünf? Zehn?«
    »Ich gehe jetzt«, sagte Lane Priest. Sie ging zügig zur Tür. »Ich habe Ihnen nie davon erzählt, dass mir jemand den Treuhänderfonds-Vertrag vorgelesen hat!«, rief MeChelle ihr nach. »Davon können Sie nur gewusst haben …«
    Gooch unterbrach. »… wenn Sie dort waren.«
    Lane Priest erstarrte. Einen Augenblick lang schaute sie ängstlich. Aber dann riss sie sich zusammen und richtete ihr Gesicht in ihre Richtung. »Glücklicherweise«, sagte sie, »kann ich mir extrem gute Anwälte leisten. Sie werden nie etwas beweisen können.«
    MeChelle starrte sie wütend an, denn sie vermutete, dass die blinde Frau recht hatte. Sie hatten keine Beweise. Keinen Hauch von einem Beweis.
    Die Härchen in MeChelles Nacken richteten sich auf, als Lane Priest weitersprach, oder, genau genommen, als sie flüsterte: »Wir sehen uns.«

66
    Im Wagen vor dem Haus saß Gooch reglos da, er ließ den Motor nicht an.
    »Sie hat mir die Augen zugeklebt!«, schrie MeChelle. »Ich will sie im Gefängnis sehen.«
    Gooch saß einfach nur da und starrte durch die Windschutzscheibe auf den großflächigen Rasen vor Lane Priests Villa.
    »Willst du sie nicht im Gefängnis haben?«, fragte MeChelle. »Komm schon, Hank. Wenn du dich schneidest, blutest du blau. Sie hat eine Polizistin entführt und tätlich angegriffen. Du weißt, dass du sie im Knast sehen willst. Durch ihren Plan wurdest du angeschossen, hast dir den Knöchel gebrochen, eine Lunge punktiert …«
    »Ich weiß nicht, was ich will«, sagte Gooch schließlich.
    MeChelles Augen weiteten sich. »Junge, das ist mal was Neues.«
    »Es hat geregnet an dem Tag, an dem sie mein kleines Mädchen gefunden haben. Er hat ihr den Hals durchgeschnitten und sie in diesem Unterholz am Fluss bei Fort Benning versteckt. Ein paar Typen, die ich kannte, haben sie gefunden. Sie sind da rumgetrampelt, haben sie hinten in einen Kleinlaster geschafft und zu mir rübergefahren, haben mir ihre Leiche gebracht. Ich stand im Regen. Ich habe nicht geweint. Ich stand einfach nur im Regen und spürte diese kalte Wut in mir. Ich habe zu den beiden Jungs gesagt: ›Ich kriege ihn.‹ Ich habe immer nur wiederholt: ›Ich kriege ihn. Ich kriege ihn.‹«
    Abgesehen von der gemeinsamen Arbeit an dem Fall, die zu der Verhaftung des Mannes geführt hatte, der seine Tochter getötet hatte, hatte Gooch niemals mit MeChelle über seine kleine Tochter gesprochen.
    Gooch nahm seine Marke vom Gürtel, drehte sie um, legte sie auf das Armaturenbrett des Wagens. Auf der Rückseite klebte ein kleines, abgegriffenes Foto eines jungen Mädchens. Das Foto war so ausgefranst und verblasst, dass man es kaum erkennen konnte. Ein kleines Mädchen, dem zwei Schneidezähne fehlten, ein ansteckend glückliches Grinsen.
    »Sie wäre an dem Tag, an dem du entführt wurdest, einundzwanzig geworden. Ich vermute, deswegen habe ich so viel an sie gedacht. Deswegen war ich so …« Seine Stimme versagte.
    »Tut mir leid«, sagte MeChelle.
    »Jahre«, sagte Gooch. »Ich habe Jahre damit verbracht, nach dem Mann zu suchen, der sie getötet hat. Es sind

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