Blindwütig: Roman
wir uns im Haus der Landulfs duelliert hatten. In den vergangenen zweiundsiebzig Stunden hatte ich so viel durchgestanden, dass ich mir einen Pfadfinderorden für stählerne Nerven redlich verdient hatte. Als Nächstes kam die Ausführung in Titan.
Offen gesagt, verschaffte es mir sogar einen leichten Nervenkitzel, dass diese Straßensperre zu meinen Ehren errichtet worden war. Mein Leben lang war ich ein guter Junge gewesen, der sich an die Regeln gehalten hatte. Ich hatte jeden Morgen mein Bett gemacht, zweimal am Tag Zahnseide verwendet und brav meinen Spinat gegessen. Als junger Kerl hatten all die Mädchen, die auf schlimme Jungs standen, was merkwürdigerweise scheinbar die meisten taten, mich für einen langweiligen Stubenhocker gehalten. Zumindest, falls sie überhaupt einen Gedanken an mich verschwendet hatten. Hätten sie mich nun gesehen - mit kahlgeschorenem Schädel, im Besitz einer nicht registrierten Waffe und am Steuer eines Fahrzeugs, das ich zwei NSA-Agenten abgenommen hatte -, so wären sie in Ohnmacht gefallen, vor Sehnsucht ganz zappelig
geworden und vielleicht sogar auf die Idee gekommen, mir ihre Höschen an den Kopf zu werfen, als wäre ich ein Rockstar.
In Wahrheit blieb ich natürlich ein guter Junge und versuchte mein Bestes, das Richtige zu tun. In dieser verkehrten Welt des einundzwanzigsten Jahrhunderts waren die Schurken bei einer Behörde angestellt, und der bewaffnete Flüchtling in einem gestohlenen Auto war ein gutbürgerlicher Familienvater, der einen Hund namens Lassie besaß.
Während wir uns der Blockade näherten, überlegte ich besorgt, ob der Hund neben mir wohl meine Tarnung gefährdete, aber ich wollte nicht, dass die Deputys sahen, wie ich ausstieg und Lassie in den Kofferraum beförderte. Ohnehin konnte ein psychopathischer NSA-Agent ja gut einen Diensthund besitzen, der ihm half, seine unschuldigen Opfer aufzuspüren und zu zerfleischen.
Natürlich wäre dieses Szenario plausibler gewesen, wenn Lassie ein Dobermann oder ein Deutscher Schäferhund gewesen wäre, vierzig Kilo mehr gewogen und Schaum vor der Schnauze gehabt hätte. Aber daran war nichts zu ändern, und während ich langsam auf die beiden Streifenwagen zurollte, nahm ich mir vor, standhaft zu behaupten, neben mir sitze ein Tier, das so gut abgerichtet sei wie ein Zirkusbär und tausendmal gefährlicher.
Bei den vier Männern, die an der Straßensperre postiert waren, handelte es sich um uniformierte Deputys des Sheriffs. Sie sahen zuverlässig, aufrichtig und völlig zurechnungsfähig aus. Zwei von ihnen lehnten am Heck des einen Streifenwagens, tranken Kaffee und plauderten miteinander.
Im Keller des Hauses Landulf hatte Shearman Waxx erwähnt, er brauche alle Männer für die Suche nach uns, weshalb die beiden Straßensperren nur von Leuten des Sheriffs
bemannt werden sollten. Damit hatte er ausnahmsweise nicht gelogen wie eine Schlange im Garten Eden. Kein einziger Gorilla in Zivil war in Sicht. Ich war schon darauf vorbereitet, Rinks NSA-Ausweis so vorzuzeigen, dass einer meiner Finger das Passbild verdeckte, aber der mich empfangende Deputy reagierte schon auf das Symbol an der Windschutzscheibe und winkte mich unverzüglich vorbei.
Der Straßenrand war hier breit genug, um sich an den Streifenwagen vorbeizuquetschen, sobald mir die beiden Kaffee trinkenden Deputys höflich Platz gemacht hatten. Fast hätte ich ihnen den gehobenen Daumen gezeigt, aber dann wäre ich womöglich erschossen worden. Deshalb fuhr ich einfach mit versteinerter Miene an ihnen vorbei, ohne sie zur Kenntnis zu nehmen, ganz wie ein arroganter Geheimagent, der solche Kleinstadtpolizisten für Hinterwäldler hielt.
Keine hundert Meter hinter der Sperre ging ein Mann die Straße entlang. Obwohl er mir den Rücken zugewandt hatte, erkannte ich Shearman Waxx. Sein Ziel war ein kleiner, von Pinien beschatteter Rastplatz mit zwei Picknicktischen, auf dem der schwarze Hummer stand.
Offenbar hatte er gerade mit den vier Deputys konferiert. Wäre ich nur zwei Minuten eher an der Blockade angekommen, so hätte er unseren Hund erkannt. Dann wären Lassie, Milo, Penny und ich bereits auf dem Weg in die Folterkammer und anschließend in einen Holzhäcksler gewesen.
Meine erste Regung bestand darin, Waxx über den Haufen zu fahren, dann aufs Gas zu steigen und durch den nebligen Morgen davonzurasen - in der Hoffnung, dass uns kein Streifenwagen einholte, bevor ein Raumschiff von einem fernen Planeten uns in seinen Laderaum beamte, um
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