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Blindwütig: Roman

Titel: Blindwütig: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz , Bernhard Kleinschmidt
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beweisen.«
    Anschließend erzählte ich erst einmal, wie Waxx am Nachmittag
unverfroren ins Haus eingedrungen und derart lässig darin herumspaziert war, als würde er meinen, er befinde sich in einer öffentlichen Einrichtung.
    Der gequälte Ausdruck in Clitherows Stimme verwandelte sich in etwas Kälteres, das sich wie eisige Verzweiflung anhörte. »Verlassen Sie sofort das Haus!«, sagte er. »Verbringen Sie keine weitere Nacht dort.«
    Nervös durchs Zimmer schreitend, berichtete ich rasch vom zweiten Besuch des Kritikers, bei dem er mich im finsteren Schlafzimmer mit einem Elektroschocker bearbeitet hatte.
    »Fliehen Sie«, sagte Clitherow. »Auf der Stelle. Fahren Sie irgendwohin, wo Sie noch nie gewesen sind und wo er Sie nicht finden kann.«
    »Das hatten wir schon geplant. Meine Frau ist wahrscheinlich gleich mit dem Packen fertig. Wir …«
    »Sofort!«, drängte Clitherow. »Sie können nicht beweisen, dass er Ihnen Elektroschocks verpasst hat. Ich kann nicht beweisen, dass er meine Eltern umgebracht hat, aber das hat er getan.«
    Die Luft hatte sich so sehr verdichtet, dass ich einen Widerstand zu spüren meinte und stehen blieb.
    »Genauso wenig kann ich beweisen, dass er meine Frau Margaret umgebracht hat, aber das hat dieses Ungeheuer ebenfalls getan. Das weiß ich. Er war es.«
    Während er das sagte, trat ich aus meinem Arbeitszimmer in den Flur, wo ich alle Türen im Erdgeschoss beobachten konnte.
    »Genauso wenig kann ich beweisen, dass er Emily und Sarah getötet hat …« Als Clitherow die beiden Namen aussprach, brach seine Stimme.
    Er hatte zwei Töchter gehabt. Beide noch keine zehn Jahre alt.

    Weil Journalismus inzwischen oft aus Meinungsmache bestand, beschäftigte ich mich regelmäßig mit verschiedenen Nachrichtenquellen, schon der Herausforderung wegen, Fakten und Propaganda zu sortieren. So viele mit einem so bekannten Autor wie John Clitherow verwandte Personen konnten eigentlich nicht vorzeitig zu Tode gekommen sein, ohne dass die ansonsten bornierte Reportermeute Blut roch und der Sache nachging. Dennoch hatte ich nichts von diesen Morden gelesen, die das Leben meines Gesprächspartners zerstört und ihn zur Flucht gezwungen hatten.
    Wenn Waxx nicht gleich zweimal in unser Haus eingedrungen wäre, wenn er mir keine Elektroschocks verpasst hätte, dann hätte ich den Behauptungen Clitherows womöglich nicht geglaubt. Er hatte sich zwar vertrauenswürdig angehört, aber die Zahl der Toten und die logische Folgerung, dass es sich bei Waxx nicht nur um einen gefährlichen Psychopathen, sondern um einen wahren Dämon handelte, klangen so absurd, wie seine Romane es nie gewesen waren.
    Was ich in dieser Nacht erlebt hatte, erinnerte mich jedoch daran, dass die Wahrheit paradox und durchweg merkwürdiger als jeder Roman war. Wir erfanden literarische Geschichten, um uns entweder von der Welt - und dadurch von der Wahrheit der Dinge - abzulenken oder um uns die Welt zu erklären. Die Wahrheit aber konnten wir nicht erfinden, weil sie schlicht und einfach da war. Wenn wir sie erkannten, überraschte sie uns immer, weshalb wir sie nur selten erkennen wollten. Schließlich graute es uns vor echten Überraschungen, weil wir lieber mit Dingen umgingen, die vertraut, bequem, anspruchslos und glatt waren.
    Ich kannte Clitherow nicht gut genug, um seinen Gram so differenziert wahrzunehmen, wie es wohl angebracht gewesen wäre, und um entsprechend Mitgefühl zu empfinden. Schließlich
hatte ich bisher nur brieflich mit ihm zu tun gehabt und nicht einmal Fotos von seiner Frau und seinen Töchtern gesehen.
    Außerdem wurde meine Reaktion durch eine ständig wachsende Furcht beeinträchtigt, die nicht nur mein Gemüt verdüsterte, sondern mich auch durch den Flur zur Haustür trieb. Dort starrte ich durch eines der schmalen Seitenfenster, weil ich erwartete, auf der Straße einen schwarzen Cadillac vorzufinden.
    In meiner Nervosität versuchte ich unbeholfen, Clitherow mein Beileid auszudrücken, tat das jedoch mit einer Anteilnahme, die mir distanziert und hoffnungslos vorkam.
    Ohnehin brauchte er wohl keine Anteilnahme und wollte sie auch nicht. Er hatte zu viel verloren, um sich vom Mitgefühl eines anderen trösten zu lassen.
    Deshalb hörte er mir nur so lange zu, bis er die Fassung wiedererlangt hatte. Dann unterbrach er mich mit einer Stimme, die gebrochen, aber nicht vernichtet klang. »Waxx verfügt über Mittel, die mir regelrecht übernatürlich vorkommen. Man kann seine Fähigkeiten gar

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