Blindwütig: Roman
freudige Überraschung! Willkommen in unserer Festung.«
Wie üblich trug er ein leuchtend buntes Hawaiihemd, Khakihosen und Turnschuhe. Das Hemd war mit einem üppigen Palmenhain vor einem Sonnenuntergang bedruckt, und in einem seiner Schuhe hätte der kleine Moses sicherer den Nil hinabgondeln können als in seinem Schilfkörbchen.
Milo hatte angeblich Angst, der Grimbald-Opa - alias Grimpa - könnte eines Tages auf ihn treten und erst Stunden später bemerken, dass es sich bei der ekligen Masse, die an seinem Schuh klebte, um einen zerquetschten Jungen handelte.
Der Name Grimbald entstammte der althochdeutschangelsächsischen Tradition und bedeutete »grimmig« und »kühn«. Letzteres war er auf jeden Fall, und obwohl er mir noch nie grimmig vorgekommen war, hätte er einem Angreifer zweifellos ungerührt so lange den Hals umgedreht, bis der Kopf abgesprungen wäre.
Trotz seiner imposanten Erscheinung und seiner exzentrischen Art - oder vielleicht auch gerade deshalb - fanden Erwachsene ihn charismatisch, während Kinder ihn unwiderstehlich
fanden. Milo liebte seinen Großvater. Mit flatterndem gelbem Regenmantel rannte er auf den Alten zu und ließ sich hochnehmen. Dann saß er in dessen gewaltiger linker Armbeuge, als wäre er tatsächlich nicht größer als ein Babyhuhn.
Nachdem Grimbald einen Kuss bekommen und einen zurückgegeben hatte, fragte er Milo: »Na, ist wieder eins deiner Experimente explodiert?«
»Nein, Grimpa. Nicht bloß eines.«
»Schlimm, schlimm. Aber nur die Hoffnung nicht aufgeben! Die meisten Dinge im Leben neigen dazu, in die Luft zu fliegen, also ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit.«
Penny stellte sich auf die Zehen, um ihren Vater zu küssen, und der beugte sich zu ihr hinab wie King Kong zu Fay Wray. Dann richtete er sich ein kleines Stück weit auf, und als ich meine Kapuze zurückgeschlagen hatte, gab er mir einen Kuss auf die Stirn.
Da Lassie inzwischen ständig an Grimbald hochsprang, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, packte er sie mitten in der Luft am Nackenfell, drückte ihr einen Kuss auf die kalte Nase und überreichte sie Milo, so dass er nun beide mit Leichtigkeit auf dem Arm hielt.
Wir folgten ihm durch die Tür mit dem Bullauge in den ersten von mehreren unterirdischen Räumen, eine neun mal sechs Meter große Werkstatt, in der er die mechanischen Apparaturen der Festung instand hielt.
Er besaß Hunderte von Handwerkszeugen, alle von höchster Qualität. Keines war elektrisch betrieben, denn wenn die Zivilisation zusammenbrach, wollte er es Clotilda nicht zumuten, sich auf dem Heimtrainer abzumühen, nur um eine Bohrmaschine oder Stichsäge anzutreiben.
Auf dem Weg durch die Werkstatt streiften Penny und ich
unsere Regenmäntel ab und hängten sie an die Wand, während Milo seine knallgelbe Hülle anbehielt.
Auch hier im eigentlichen Bunker gab es elektrisches Licht, doch nach dem Ende der Welt wollten die Booms sich mit Kerzen begnügen. Davon besaßen sie Tausende.
Als Nächstes kam eine große Kammer, in der gewaltige Mengen Proviant verwahrt wurden, gefriergetrocknet und in Dosen. Dazu kamen Behälter mit Saatgut, falls die Erde nach Armageddon irgendwann wieder für die Landwirtschaft geeignet sein sollte.
Das Schlafzimmer war ganz normal möbliert. An den Wänden prangten Fotos in Postergröße. Sie stellten den Einsturz riesiger Gebäude dar, die von den Booms gesprengt worden waren. Der Raum war gemütlich, obgleich man wegen der fehlenden Fenster ein wenig Platzangst bekommen konnte.
Grimbald und Clotilda wohnten nicht ständig in ihrer Festung. Über dem Erdboden besaßen sie ein bequemes Domizil im Stil einer Hazienda, wo sie die meiste Zeit verbrachten. Gelegentlich flogen sie allerdings mit ihrem Abbruchteam irgendwohin, um gegen anständige Bezahlung einen mächtigen Schutthaufen zu produzieren. In ihrem Jargon sprachen sie dann davon, auf die Pauke zu hauen, zum Beispiel: »Nächsten Donnerstag hauen wir in Dallas auf die Pauke.«
Dieses oberirdische Haus besaßen sie unter einem falschen Namen. Sie lebten darin unter einem anderen falschen Namen. Engagierten Überlebenskünstlern wie ihnen gelang es eben mühelos, dem scheinbar alles sehenden Auge des Staats zu entkommen und, falls nötig, umherzuziehen wie Rauch, bevor sie sich schließlich in den Untergrund begaben.
Unter der offiziellen Anschrift der beiden befand sich eine kleine Privatwohnung samt Büro, wo eine Sekretärin, die der Filmschauspielerin Judi Dench ähnelte,
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