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Blink! - die Macht des Moments

Titel: Blink! - die Macht des Moments Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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Situationen erlebt hatte und oft gezwungen war, unter extremer psychischer Belastung die Gedanken seines Gegenübers zu lesen.
     Seine Geschichte ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie eine stressgeladene Situation sich völlig verändern kann, wenn man
     es richtig angeht. Es war kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Er verfolgte eine Gruppe von drei jugendlichen Bandenmitgliedern.
     Einer sprang über einen Zaun, der zweite lief vor das Polizeiauto, und der dritte stand wie angewurzelt vor ihm, keine 3 Meter
     entfernt. Der Beamte erinnert sich:
    Als ich auf der Beifahrerseite ausgestiegen bin, hat der Junge sich mit der Hand in den Hosenbund gegriffen. Ich habe gesehen,
     dass er sich in den Schritt greift, und dann mit der Hand nach etwas tastet, das in der Gegend der Hüfte war. So als wollte
     er etwas festhalten, was ihm gerade das Hosenbein hinunterrutscht.
    Er hat sich langsam umgedreht und dabei weiter in seiner Hose geangelt. Er hat mir in die Augen gesehen, und ich habe ihm
     gesagt, er soll sich nicht bewegen: »Stopp! Keine Bewegung! Keine Bewegung! Keine Bewegung!« Mein Partner hat geschrieen:
     »Stopp! Stopp! Stopp!« Und während ich gerufen habe, habe ich meine Dienstpistole gezogen. Als ich 2 Meter von ihm weg war,
     hat er plötzlich eine verchromte 25er aus seiner Hose gezogen. Er hat die Hand gehoben, aber bevor er sie über seinem Nabel
     hatte, hat er die Pistole auf den Gehsteig fallen gelassen. Wir haben ihn festgenommen, und das war’s.
    Ich glaube, der einzige Grund, warum ich nicht geschossen habe, war sein Alter. Er war 14, hat aber ausgesehen wie neun. Bei
     einem |234| Erwachsenen hätte ich vermutlich geschossen. Ich war mir der Gefahr durchaus bewusst. Ich habe die Pistole gesehen, das Chrom
     und den Perlmutgriff. Aber ich habe auch gewusst, dass ich im Vorteil war, und ich wollte nicht gleich das Schlimmste vermuten,
     er war ja noch so jung. Ich denke, meine Entscheidung hat damit zu tun, dass ich zu diesem Zeitpunkt schon viel Diensterfahrung
     hatte. Ich habe gesehen, dass er Angst hatte, ich habe das aus früheren Situationen gekannt und wollte ihm noch ein bisschen
     Zeit geben. Damit hatte er die Möglichkeit, etwas zu tun, damit ich nicht schießen würde. Ich habe gesehen, dass er eine Pistole
     aus der Hose gezogen hat und habe den Lauf im Auge behalten. Wenn er die Hand ein bisschen höher gehoben hätte oder wenn der
     Lauf sich in meine Richtung bewegt hätte, dann hätte ich geschossen. Aber der Lauf ist nicht in meine Richtung gekommen, und
     meine innere Stimme hat mir gesagt: ›Du musst noch nicht schießen.‹«
    Wie lange dauerte diese Begegnung? Zwei Sekunden? Anderthalb? Doch dank seiner Erfahrung war der Beamte in der Lage, diesen
     kurzen Zeitraum in die Länge zu ziehen, die Situation zu verlangsamen und bis zum letzten Moment Informationen aufzunehmen.
     Er sieht die Pistole über dem Hosenbund, sieht den Perlmutgriff und verfolgt die Bewegung des Laufs. Er wartet, bis sich der
     Junge entscheidet, zu schießen oder die Waffe fallen zu lassen, und während er die Pistole im Auge hat, achtet er auch auf
     das Gesicht des Jungen, um zu erkennen, ob er gefährlich ist oder einfach nur Angst hat. Gibt es ein besseres Beispiel für
     eine gelungene Spontanentscheidung? Wir sehen das Ergebnis von Erfahrung und Übung: die Fähigkeit, eine Unmenge an Informationen
     aus einer möglichst dünnen Scheibe Erfahrung zu extrahieren. Ein unerfahrener Beamter hätte diese Situation wie im Nebel wahrgenommen.
     Doch der Nebel lässt sich lichten. Jeder Moment, jeder
Blink,
setzt sich aus einer Abfolge unterschiedlicher Teile zusammen, und jeder dieser Teile bietet die Möglichkeit zu handeln und
     verändernd und korrigierend einzugreifen.
    |235| Tragödie in der Wheeler Avenue
    Zurück zu Sean Carroll, Ed McMellon, Richard Murphy und Ken Boss. Es war spät. Sie waren in der South Bronx. Sie sahen einen
     jungen Schwarzen, der sich seltsam zu verhalten schien. Sie fuhren vorbei und konnten ihn nicht besonders gut sehen. Trotzdem
     begannen sie sofort, ein System zu entwickeln, um sein Verhalten einzuordnen. Sie haben zum Beispiel gesehen, dass er recht
     klein ist. »Was bedeutet das, dass er klein ist?« fragt de Becker und stellt sich vor, was den vier Polizisten durch den Kopf
     gegangen sein mag. »Es bedeutet, dass er eine Pistole hat. Er ist allein auf der Straße, kurz nach Mitternacht, in dieser
     miesen Wohngegend. Allein. Ein Schwarzer. Er muss eine Pistole

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