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Blink! - die Macht des Moments

Titel: Blink! - die Macht des Moments Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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Stresssituationen dieser Art zu vermeiden |229| und nicht in momentanen Autismus zu verfallen. Er lernt, bei einer Kontrolle hinter dem anderen Wagen stehen zu bleiben. Nachts
     soll er sein Fernlicht einschalten und damit in den anderen Wagen hineinleuchten. Wenn er auf den Wagen zugeht, dann auf der
     Fahrerseite; er soll kurz hinter der Tür stehen bleiben und mit seiner Taschenlampe in den Schoß des Fahrers leuchten. Mir
     ist das auch schon des Öfteren passiert, und ich fühle mich immer ein wenig respektlos behandelt – kann der Polizist mir nicht
     in die Augen schauen und mir von Mann zu Mann gegenübertreten? Der Grund ist natürlich, dass es mir fast unmöglich ist, auf
     den Polizisten zu schießen, wenn er hinter mir steht. Zum einen leuchtet mir der Polizist in den Schoß und sieht, was ich
     mit meinen Händen mache. Zum anderen müsste ich mich fast um 180 Grad umdrehen, mich aus dem Fenster lehnen, um den Türrahmen
     herum schießen und dabei in das aufgeblendete Fernlicht des Streifenwagens schauen, und das alles vor den Augen des Beamten.
     Diese scheinbar unwürdige Polizeiroutine dient also meiner eigenen Sicherheit, denn es bedeutet, dass der Beamte nur dann
     seine Waffe zieht, wenn ich ihn eindeutig selbst bedrohe.
    Fyfe betreute ein Projekt in Dade County in Florida, wo es zu einer ungewöhnlich hohen Zahl von gewalttätigen Auseinandersetzungen
     zwischen Polizisten und Bürgern kam. Die Stimmung war entsprechend gereizt. Bürgergruppen warfen der Polizei vor, unsensibel
     und rassistisch vorzugehen. Die Polizei wiederum reagierte verärgert und ging in Verteidigungshaltung über: Gewalt, so sagte
     der Sprecher, sei die bedauerliche, aber nicht zu vermeidende Folge polizeilicher Arbeit. Die Rollen waren klar verteilt.
     Fyfe reagierte, indem er diese Kontroverse zunächst außer Acht ließ und eine Studie erstellte. Er setzte Beobachter in die
     Streifenwagen, um zu überprüfen, inwieweit sich die Beamten an die Regeln hielten, die sie auf der Polizeischule gelernt hatten.
     »Es ging zum Beispiel darum zu sehen, ob die Beamten jede verfügbare Deckung nutzen«, berichtet Fyfe. »Wir bringen Polizisten
     bei, |230| immer ein kleinstmögliches Ziel abzugeben, um den Verdächtigen nicht geradezu zum Schießen herauszufordern. Wir haben uns
     also angeschaut, ob die Polizisten jede mögliche Deckung nutzen, oder ob sie einfach zur Haustür hereinspazieren. Halten sie
     die Pistole zu jedem Zeitpunkt weg von den Menschen? Haben sie die Taschenlampe in ihrer schwachen Hand? Rufen sie bei der
     Meldung eines Einbruchs zurück, um mehr Informationen zu bekommen, oder fahren sie einfach los? Fordern sie Verstärkung an?
     Koordinieren sie einen Einsatz untereinander – wer schießt, wer deckt? Schauen sie sich in der Nachbarschaft um? Parken sie
     einen Wagen am Hintereingang des Gebäudes? Wenn sie in einem Gebäude sind, halten sie die Taschenlampe seitlich? Wenn der
     Gesuchte eine Waffe hat, dann wird er nämlich auf die Lampe schießen. Wenn sie einen Wagen anhalten, schauen sie erst auf
     die Rückbank, ehe sie den Fahrer ansprechen? Diese und ähnliche Fragen.«
    Fyfe stellte fest, dass die Beamten immer dann korrekt handelten, wenn sie einem Verdächtigen gegenüberstanden oder ihn verhaftet
     hatten. In diesen Situation hielten sie sich zu 92 Prozent an die Regeln, die sie gelernt hatten. Aber wenn sie sich einem
     Einsatzort näherten, dann machten sie so gut wie alles falsch, was man falsch machen konnte, und hielten sich gerade einmal
     zu 15 Prozent an ihre Regeln. Hier lag also das Problem: Die Beamten taten nichts, um späterem zeitweisem Autismus vorzubeugen.
     Als die Beamten von Dade County anfingen, die Vorbereitungen für ihre Einsätze zu verbessern, gingen die Beschwerden und Verletzungen
     bei Polizeieinsätzen drastisch zurück. »Sie müssen unter allen Umständen vermeiden, sich selbst in eine Situation zu bringen,
     in der Sie sich nur noch mit der Schusswaffe verteidigen können«, erläutert Fyfe. »Wenn Sie sich auf Ihre Reflexe verlassen
     müssen, kommt es schnell zu Verletzungen – unnötigerweise. Wenn Sie aber Ihren Kopf einsetzen und Deckung nutzen, dann kommen
     Sie erst gar nicht in die Situation, reflexartig reagieren zu müssen.«
    |231| »Meine innere Stimme sagte mir: ›Du musst noch nicht schießen.‹«
    Das Besondere an Fyfes Diagnose ist, dass sie die übliche Diskussion über Schusswaffengebrauch bei Polizeieinsätzen auf den
     Kopf stellt.

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