Blink! - die Macht des Moments
hat eine bestimmte Vorstellung von ihrem Traumpartner, und diese Vorstellung ist keineswegs falsch. Es fehlt nur
etwas. Sie beschreibt lediglich ihr bewusstes Ideal: was sie sich wünscht, wenn sie sich hinsetzt und darüber nachdenkt. In
dieser Situation kann sie jedoch noch nicht vorhersehen, welche Kriterien sie anwenden wird, wenn sie zum ersten Mal einem
bestimmten Mann gegenübersitzt. Diese Information verbirgt sich hinter der verschlossenen Tür.
Vic Braden hat bei seiner Arbeit mit Profisportlern ähnliche Erfahrungen gemacht. Im Laufe der Jahre hat er immer wieder mit
Topspielern gesprochen und sie befragt, wie sie spielen und warum sie so spielen, wie sie spielen. Doch die Antworten waren
durchweg enttäuschend. »Wir haben eine Menge Spitzenspieler befragt, aber wir haben nicht einen getroffen, der
neben
dem Platz noch genau das beschreiben konnte, was er
auf
dem Platz macht«, berichtet Braden. »Wenn man denselben Spieler mehrmals befragt, bekommt man jedes Mal eine andere Geschichte
zu hören. Oder |73| die Spieler geben Antworten, die einfach nicht stimmen können.« Braden zeichnet unter anderem Spiele von Topstars auf, digitalisiert
die Sequenzen und schaut sie sich Bild für Bild an. So findet er zum Beispiel heraus, wie Pete Sampras die Schulter rollt,
wenn er eine Rückhand schlägt.
Eines der digitalisierten Videos zeigt den Tennis-Star André Agassi beim Schlagen einer Vorhand. Die Aufnahmen wurden im Computer
so bearbeitet, dass Agassi wie ein Skelett aussieht und in der Bildsequenz die Bewegung jedes einzelnen Gelenks sichtbar und
messbar wird. Anhand dieser Aufnahme wird vollends deutlich, dass wir nicht in der Lage sind, zu beschreiben, wie wir uns
in einem bestimmten Moment verhalten. »Fast jeder Tennisprofi wird Ihnen erzählen, dass er beim Schlagen der Vorhand das Handgelenk
so dreht, dass der Schläger um den Ball herumgezogen wird«, sagt Braden. »Aber wir sehen etwas ganz anderes. Schauen Sie sich
das an!« Braden zeigt auf den Bildschirm. »Sehen Sie, was passiert, wenn er den Ball schlägt? Anhand dieser Aufnahme können
wir feststellen, wenn sich das Handgelenk auch nur um ein Achtel Grad dreht. Aber die Spieler bewegen ihr Handgelenk so gut
wie nie. Schauen Sie, wie starr es bei Agassi ist. Er dreht das Handgelenk erst, nachdem er den Ball schon längst geschlagen
hat. Er glaubt, er bewegt es, wenn der Schläger den Ball trifft, aber in Wirklichkeit hält er es starr und bewegt es erst
viel später. Wie kann es sein, dass so viele Tennisprofis sich derart täuschen? Leute bezahlen Trainern einen Haufen Geld,
um zu lernen, wie man das Handgelenk dreht und den Schläger über den Ball zieht, und die einzige Folge ist, dass sie sich
dabei die Gelenke verletzen.«
Braden stellte dasselbe Problem bei dem Baseballspieler Ted Williams fest. Williams ist einer der erfolgreichsten Spieler
aller Zeiten und wird landauf, landab für seine Schlagtechnik bewundert. Er behauptete immer wieder, er würde den Ball gewissermaßen
mit den Augen auf den Schläger saugen und ihn bis zum Moment des Schlages genau im Auge behalten. Aus seiner Erfahrung als |74| Tennisspieler und -trainer weiß Braden jedoch, dass dies schlechterdings unmöglich ist. Dazu ist der Ball viel zu schnell
und zu nah: Anderthalb Meter, bevor der Ball auf den Schläger trifft, verschwindet er aus dem Sichtfeld des Spielers. Der
eigentliche Schlag erfolgt blind. Beim Baseball ist das nicht anders. Niemand kann den Ball im Blick behalten, bis er auf
dem Schläger auftrifft. »Ich habe Ted Williams einmal getroffen,« sagt Braden. »Wir haben beide für Sears gearbeitet und sind
gemeinsam bei einer Veranstaltung aufgetreten. Ich sagte, ›Mensch, Ted. Wir haben gerade eine Studie gemacht und herausgefunden,
dass man den Ball nicht mit den Augen auf den Schläger saugen kann.‹ Und er meinte nur: ›Naja, ich hatte immer
das Gefühl,
dass ich es könnte.‹«
Ted Williams schlug den Ball vielleicht besser als irgendjemand sonst in der Geschichte des Baseball, und er erklärte jedermann,
der es hören wollte, wie er es machte. Aber seine Erklärung hatte nichts damit zu tun, was tatsächlich passierte. Genauso
wie Marys Beschreibung ihres Traummanns nichts mit dem Mann zu tun haben muss, zu dem sie sich tatsächlich hingezogen fühlt.
Wir Menschen haben ein Problem mit den Geschichten, die wir uns erzählen. Wir finden zu schnell Erklärungen für Dinge, die
wir
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