Blink! - die Macht des Moments
gleich ist, inwieweit beeinflussen Hautfarbe
und Geschlecht den Preis, den der Autohändler dem Kunden macht?
Die Ergebnisse waren erstaunlich. Die Männer weißer Hautfarbe erhielten ein erstes Angebot, das im Durchschnitt 725 US-Dollar
über dem Einkaufspreis des Händlers lag. Das erste Angebot für weiße Frauen lag bei 935 US-Dollar über dem Einkaufspreis.
Von schwarzen Frauen verlangten die Händler im Durchschnitt 1 195 US-Dollar mehr, und von Männern schwarzer Hautfarbe sage
und schreibe 1 687 US-Dollar mehr. Selbst nach vierzigminütigen Verhandlungen konnte ein männlicher, schwarzer Kunde den Preis
um gerade einmal 136 Dollar drücken. Mit anderen Worten, sein Preis lag selbst nach zähem Feilschen noch gut achthundert Dollar
über dem, den der männliche, weiße Kunde angeboten bekam, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen.
Was können wir aus diesem Experiment schließen? Dass die Autohändler Chicagos allesamt Sexisten und Rassisten sind? Man könnte
es vielleicht so auslegen, aber das wäre eine extreme Interpretation.
Der Handel mit Autos ist ein merkwürdiges Geschäft: Wenn man als Verkäufer jemanden dazu bringen kann, den Preis auf dem Preisschild
zu zahlen und ein Paket mit allen möglichen Extras wie Alufelgen, Ledersitzen und Stereoanlage dazuzukaufen, dann kann man
mit einem einzigen leichtgläubigen Kunden so viel Provision verdienen wie an einem halben Dutzend anderer, die hart verhandeln.
Mit anderen Worten, es ist für einen Verkäufer eine wirkliche Versuchung, sich nach diesem leichtgläubigen Opfer auf |100| die Lauer zu legen. Verkäufer haben einen eigenen Namen für den Kunden, der bereitwillig den Preis auf dem Preisschild zahlt:
der Hinleger. Eine andere Schlussfolgerung, die man also aus dem Experiment ziehen kann, ist, dass die Verkäufer Schwarze
und Frauen pauschal als Hinleger einordneten. Sie sahen jemanden, der kein weißer Mann war, und dachten: »Aha! Diese Person
ist so naiv, dass ich ordentlich Rahm abschöpfen kann.«
Diese Erklärung erscheint auf den ersten Blick wenig schlüssig. Ayers schwarze und weibliche Kunden gaben dem Händler einen
ganz offensichtlichen Hinweis nach dem anderen, dass sie keineswegs naiv waren. Sie hatten gut bezahlte Anstellungen, wohnten
in einem wohlhabenden Viertel, ihre Kleidung ließ einen gewissen beruflichen Erfolg vermuten, und schließlich waren sie versiert
genug, eine vierzigminütige Verhandlung zu führen. Nichts davon lässt darauf schließen, dass wir es mit einem leichtgläubigen
Kunden zu tun haben. Wäre Ayers Studie ein Beleg für bewusste Diskriminierung, dann wären die Autohändler Chicagos entweder
unglaubliche Rassisten (was nicht sehr wahrscheinlich ist) oder so begriffsstutzig, dass sie keinen dieser Hinweise mitbekommen
(was ebenfalls kaum vorstellbar ist). Die Ursache für die Begriffsstutzigkeit der Händler scheint eine ganz andere zu sein.
Es sieht so aus, als würden die Autoverkäufer aus irgendeinem Grund – sei es durch eigene Erfahrung, sei es durch von Händler
zu Händler weitergegebene Mythen – Frauen und Minderheiten automatisch in die Gruppe der Hinleger einordnen. Es scheint, als
würden sie diese beiden Kategorien unbewusst zusammendenken, so wie Millionen von US-Bürgern, die den Rassismus-IAT gemacht
haben, Wörter wie »böse« oder »kriminell« schneller mit »schwarz« als mit »weiß« in Verbindung bringen. Wenn also Frauen oder
Schwarze zur Tür hereinkommen, dann denken diese Händler instinktiv: »Opfer«!
Es kann gut sein, dass sich dieselben Händler auf einer bewussten Ebene gegen Diskriminierung und für die Gleichbehandlung
von Frauen und Schwarzen aussprechen, und sie würden vermutlich |101| darauf bestehen, dass sie sich in ihrer Preisforderung von einer professionellen Einschätzung des jeweiligen Kunden leiten
lassen. Aber die Entscheidung, die sie in dem Moment trafen, als der Kunde zur Tür hereinkam, war eine andere. Sie reagierten
unbewusst auf die offensichtlichsten Eigenschaften der Kunden, ihre Hautfarbe und ihr Geschlecht, und hielten an ihrem Urteil
fest, auch als alle möglichen widersprechenden Informationen hinzukamen. Sie verhielten sich wie die Wähler bei der Präsidentschaftswahl
im Jahr 1920, die einen Blick auf Warren Harding warfen und dann ohne weiter nachzudenken zu dem Schluss kamen, dass so ein
Präsident aussehen müsse. Die Wähler bekamen einen der miserabelsten Präsidenten aller
Weitere Kostenlose Bücher