Blink! - die Macht des Moments
passiert
oft. Der hier ist von einem Mann, der in Keyport wohnt, 60 Kilometer südlich von hier. Er hat mir einen Teller Krabben vorbeigebracht.«
Golombs Erfolg hat aber noch einen anderen, viel wichtigeren Grund. Wie er selbst sagt, beherzigt er eine einfache Regel.
Er mag jede Menge Spontanurteile über die Bedürfnisse eines Kunden und seine momentane Verfassung fällen, aber er versucht,
nie jemanden aufgrund seines Äußeren zu beurteilen. Er sagt sich, dass jeder, der zur Tür hereinkommt, mit exakt derselben
Wahrscheinlichkeit ein Auto kaufen wird.
»In unserem Geschäft können wir es uns nicht leisten, Menschen mit Vorurteilen zu begegnen,« betonte er bei unserem Treffen
wieder und wieder und wirkte dabei absolut überzeugt. »Wenn Sie jemandem vorab einen Stempel aufdrücken, dann ist das Geschäft
schon gelaufen. Sie müssen sich um jeden Kunden gleich kümmern. Nur ein Grünschnabel sieht sich einen Kunden an und denkt:
‚So wie der aussieht, kann der sich doch kein Auto leisten.‹ Das ist das Falscheste, was Sie tun können, denn oft ist gerade
so jemand eine Goldgrube. Einer meiner Kunden ist Landwirt, und ich habe ihm im Laufe der Jahre schon die verschiedensten
Modelle verkauft. Wir besiegeln den Kauf mit Handschlag, er lässt mir einen Hundertdollarschein als Anzahlung hier und sagt,
›Bring mir die Kiste raus auf die Farm.‹ Wir schreiben die Bestellung nicht einmal auf. Und wenn Sie sich diesen Mann ansehen,
wie der hier in Latzhose und mit Matsch an den Gummistiefeln reinkommt, dann würden Sie spontan sagen, dass so jemand doch
nie ein Auto kauft. Aber der Mann zahlt sogar bar. Oder manchmal kommt ein Jugendlicher hier rein, und ein Händler lässt ihn
abblitzen. Aber dann kommt er abends mit Papa und Mama wieder, und die kaufen das Auto – und ein anderer Händler macht den
Deal und kassiert die Provision.«
Was Golomb beschreibt, ist nichts anderes als die klassische Warren-Harding-Falle. Die meisten Händler sehen einen Kunden |98| und lassen zu, dass der äußere Eindruck jede weitere Information übertüncht, die ihnen diese Person in den ersten Momenten
noch vermittelt. Golomb geht dagegen sehr viel selektiver vor. Er hat eine Antenne dafür, ob jemand selbstsicher oder verschüchtert,
kenntnisreich oder naiv, vertrauensvoll oder misstrauisch ist. Und aus diesen vielen Eindrücken versucht er, die rein oberflächlichen
Eindrücke vom Aussehen einer Person herauszuhalten. Das Geheimnis von Golombs Erfolg ist, dass er sich bewusst entschieden
hat, nicht in die Warren-Harding-Falle zu tappen.
Auf der Suche nach dem leichtgläubigen Opfer
Bob Golomb hat mit seiner Strategie deshalb so großen Erfolg, weil die Warren-Harding-Falle eine so große Rolle im Autohandel
spielt. Um das zu verdeutlichen, möchte ich Ihnen ein bemerkenswertes soziologisches Experiment vorstellen, dass ein Chicagoer
Juraprofessor namens Ian Ayres in den neunziger Jahren durchgeführt hat. Ayres stellte ein Team von 38 Mitarbeitern zusammen
– achtzehn Männer weißer Hautfarbe, sieben weiße Frauen, acht schwarze Frauen und fünf schwarze Männer. Er achtete darauf,
dass sie sich rein äußerlich so wenig wie möglich unterschieden. Alle waren Mitte 20 und von durchschnittlicher Attraktivität.
Ayers wies sie an, konservative Freizeitkleidung zu tragen: die Frauen Blusen, lange, gerade geschnittene Röcke und flache
Schuhe, die Männer Polo- oder Freizeithemden, dazu Hosen mit Bügelfalten und Lederschuhe. Alle sollten dieselbe Geschichte
erzählen: Sie sollten bei insgesamt 242 Autohäusern im Stadtgebiet von Chicago vorstellig werden und sich als Berufseinsteiger
mit Hochschulabschluss (zum Beispiel Systemanalysten in einer Bank) vorstellen, die im gutbürgerlichen Stadtteil Streeterville
leben. Die Anweisungen, wie sie sich im Verkaufsgespräch verhalten sollten, |99| waren sogar noch detaillierter. Sie sollten den Verkaufsraum betreten und warten, bis sie von einem Verkäufer angesprochen
werden. Dann sollten Sie sagen »Ich interessiere mich für diesen Wagen« und auf das preisgünstigste der ausgestellten Autos
zeigen. Nachdem ihnen der Händler einen Preis genannt hat, sollten sie versuchen, ihn herunterzuhandeln, bis der Händler ein
Angebot annahm oder sich weigerte, weiter zu verhandeln. Dieser Prozess dauerte im Durchschnitt gute 40 Minuten. Ayers wollte
mit diesem Experiment folgende Frage beantworten: Wenn alles andere weitgehend
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