Blink! - die Macht des Moments
oder vier Tage später wieder rausgekommen und hatten eine
Menge Tote, insgesamt vielleicht 45. Aber wir hatten unser Ziel erreicht. Wir sind in unser Camp zurückgekommen, und am nächsten
Tag gab es eine Übung: Taktik, Inspektion und, Sie werden’s nicht glauben, Konditionstraining. Als junger Unteroffizier hätte
ich mir nie träumen lassen, dass wir im Busch Konditionstraining machen würden. Ich hätte mir auch nicht träumen lassen, dass
wir im Busch taktische Übungen und Bajonetttraining machen würden. Aber so war’s. Es war Teil der Routine. Nach einem Gefecht
gab es eine kurze Pause, dann wieder Übungen. So hat Rip seine Einheit geführt.«
Van Riper war streng und fair. Er hatte den Krieg kennen gelernt und hatte klare Vorstellungen davon, wie seine Soldaten |106| sich in einem Gefecht zu verhalten hätten. »Der Mann war ein Draufgänger«, erinnert sich einer der Soldaten aus van Ripers
Bataillon. »Niemand, der sich hinter dem Schreibtisch verschanzt, sondern jemand, der die Truppen von vorne weg führt. Er
hat uns immer hart rangenommen, aber so, dass es uns nichts ausgemacht hat. Ich erinnere mich daran, wie wir einmal nachts
einen Angriff durchführen sollten. Der Chef hat mich angefunkt. Er hat zu mir gesagt, es kämen 121 Vietnamesen auf meine Stellung
zu und ich sollte sie aufhalten. Ich habe gesagt, ›Chef, ich habe hier neun Mann.‹ Und er hat mir gesagt, er würde mir Verstärkung
schicken,
wenn ich welche bräuchte.
So war er. Da draußen war der Feind, und obwohl wir nur zu neunt waren und die anderen 121, war ganz klar, dass wir anzugreifen
haben. Wenn Rip das Kommando hatte, dann hat er den Feind immer mit seiner Taktik überrascht. ›Leben und leben lassen‹, das
war nicht seine Sache.«
Im Frühjahr des Jahres 2000 wurde van Riper von einer Gruppe ranghoher Offiziere des Pentagon angesprochen. Zu diesem Zeitpunkt
war er bereits pensioniert und hatte eine lange und hochdekorierte Laufbahn hinter sich, in der er es bis zum General der
Marines gebracht hatte. Das Pentagon begann gerade mit der Planung eines Militärmanövers mit dem Namen Millennium Challenge
’02. Es sollte das größte und teuerste strategische Manöver der Militärgeschichte werden. Als es schließlich zweieinhalb Jahre
später im Juli und August 2002 durchgeführt wurde, hatte es eine Viertel Milliarde US-Dollar verschlungen. Das Szenario von
Millennium Challenge sah vor, dass ein abtrünniger General in einem Land irgendwo in der Region des Persischen Golfs einen
Staatsstreich durchgeführt hatte und nun die gesamte Region in einen Krieg zu ziehen drohte. Die besondere Stärke dieses Generals
war sein Rückhalt bei verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen. Er gewährte vier verschiedenen Terrorgruppen Unterschlupf,
die er auch finanziell unterstützte. Er war radikal antiamerikanisch. In Millennium Challenge sollte Paul van Riper die Rolle
dieses Schurkengenerals |107| übernehmen, was sich, je nach Sichtweise, als brillante oder desaströse Wahl herausstellte.
Eines Morgens am Persischen Golf
Die Abteilung, die innerhalb des Pentagon für die Planung und Durchführung von strategischen Militärmanövern zuständig ist,
nennt sich Joint Forces Command, besser bekannt unter der Abkürzung JFCOM. Das JFCOM ist in zwei niedrigen und unscheinbaren
Betongebäuden an Ende einer kurvenreichen Straße in Suffolk, im US-Bundesstaat Virginia, eine gute Stunde südöstlich der Hauptstadt
Washington D. C. untergebracht. Neben der Einfahrt zum Parkplatz steht ein kleines Wachhäuschen, das von der Straße aus nicht
zu sehen ist. Ein Sicherheitszaun umgibt das Gelände. Auf der anderen Straßenseite liegt ein Supermarkt. Innen unterscheidet
sich das JFCOM nicht von einem gewöhnlichen Bürogebäude mit Konferenzzimmern, Großraumbüros und langen, hell erleuchteten
Gängen mit PVC-Belag. Die Arbeit des JFCOM ist allerdings alles andere als gewöhnlich. Hier testet das Pentagon neue militärische
Organisationsformen und experimentiert mit neuen Strategien der Kriegsführung.
Die Planungen das Manövers Millennium Challenge begannen im Sommer 2000. JFCOM holte Hunderte Militäranalysten, Spezialisten
und Softwareexperten zusammen. In der Sprache der Kriegsspiele sind die USA und ihre Verbündeten immer das blaue Team, und
der Feind ist immer das rote Team. Das JFCOM legt ausführliche Portfolios an, die sämtliche wichtigen Daten beider Teams
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