Blink! - die Macht des Moments

enthalten.
     In den Wochen vor dem Beginn des Manövers nahmen die roten und blauen Truppen an einer Reihe von Übungen teil, die der Vorbereitung
     des Kampfes dienen sollten. Der Schurkengeneral wurde immer aufsässiger, die USA immer besorgter.
    |108| In der zweiten Julihälfte kamen beide Seiten in Suffolk zusammen und richteten ihre Hauptquartiere in den großen, fensterlosen
     Kellerräumen des Hauptgebäudes der JFCOM ein, die auch als Testbuchten bekannt sind. Marines, Luftstreitkräfte, Armee und
     Seestreitkräfte standen in den verschiedenen Stützpunkten im ganzen Land bereit, um die Befehle der roten und blauen Kommandeure
     durchzuspielen. Manchmal, wenn das blaue Team in der Simulation eine Rakete abfeuerte oder ein Flugzeug aufsteigen ließ, dann
     wurde tatsächlich an einem der Stützpunkte eine Rakete abgeschossen und ein Flugzeug gestartet. In den meisten Fällen jedoch
     simulierte eines der 42 unterschiedlichen Computermodelle den Einsatz, und zwar so überzeugend, dass die Teilnehmer im JFCOM-Gebäude
     kaum unterscheiden konnten, ob er nun real stattgefunden hatte oder nicht. Die Simulation dauerte zweieinhalb Wochen. Für
     die spätere Auswertung zeichnete die JFCOM jedes Gespräch auf, und ein Computer verfolgte jede abgefeuerte Kugel, jede gezündete
     Rakete und jeden gestarteten Panzer. Millennium Challenge war mehr als nur ein Experiment. Weniger als ein Jahr später – als
     nämlich die USA tatsächlich in einen Staat der Golfregion einmarschierten, in dem ein so genannter Schurke regierte, der starken
     Rückhalt in einer ethnischen Gruppierung hatte und von dem man annahm, dass er Terroristen unterstützte – wurde klar, dass
     das Manöver Teil der Kriegsvorbereitung gewesen war.
    Nach Auskunft des Pentagon sollte Millennium Challenge neue und radikale Strategien der Kriegsführung erproben. In Operation
     Desert Storm im Jahr 1991 hatten die USA die irakischen Truppen in Kuwait aufgerieben. Dies war jedoch ein konventioneller
     Krieg gewesen, in dem zwei hochgerüstete und organisierte Armeen im offenen Gefecht aufeinander trafen. In den Jahren nach
     Desert Storm setzte sich im Pentagon die Überzeugung durch, dass diese Art der Kriegsführung schon bald der Vergangenheit
     angehören würde: Niemand würde es wagen, den USA von Angesicht zu Angesicht in einer militärischen Auseinandersetzung gegenüberzutreten.
     Man |109| nahm an, dass die Konflikte der Zukunft diffuser verlaufen würden. Sie würden eher in den Städten als auf dem offenen Schlachtfeld
     stattfinden, Ideen würden eine eben so große Rolle spielen wie Waffen, und die Kultur und die Ökonomie eines Landes wären
     genauso wichtig wie die Armeen. Ein Analyst des JFCOM formulierte es so: »Im nächsten Krieg wird nicht nur eine Armee gegen
     eine andere antreten. Der kriegsentscheidende Faktor wird nicht sein, wie viele Panzer Sie außer Gefecht setzen, wie viele
     Schiffe Sie versenken und wie viele Flugzeuge Sie abschießen. Der kriegsentscheidende Faktor wird sein, ob Sie in der Lage
     sind, das System des Gegners auszuschalten. Unser Ziel wird nicht mehr die Maschinerie des Krieges sein, sondern viel allgemeiner
     die Möglichkeit des Kriegführens an sich. Das Militär hängt mit der Wirtschaft zusammen, diese wiederum mit der Kultur und
     persönlichen Beziehungen. Die Verbindungen zwischen all diesen Systemen müssen wir verstehen lernen.«
    Im Rahmen von Millennium Challenge konnte das blaue Team aus größeren intellektuellen Ressourcen schöpfen als je zuvor eine
     Armee. JFCOM entwickelte ein Computerprogramm namens Operational Net Assessment, ein formales Analyse- und Entscheidungsinstrument,
     das den Feind in eine Reihe von Subsystemen aufschlüsselte – Militär, Wirtschaft, Gesellschaft, Politik – und eine Matrix
     generierte, die aufzeigte, wie diese Systeme miteinander zusammenhingen und wo die Schwachstellen des Gegners waren. Die Kommandanten
     des blauen Teams erhielten außerdem ein Instrument namens Effects-Based Operations, mit dessen Hilfe sie über die bloße Zerstörung
     der militärischen Infrastruktur hinausdenken konnten. Sie erhielten eine umfassende Karte namens Common Relevant Operational
     Picture (CROP), auf der sie Einsätze in Echtzeit nachverfolgen konnten.
    Sie erhielten eine noch nie da gewesene Menge an Informationen aus jeder Abteilung der US-Regierung und aus allen Geheimdiensten
     und gingen nach einer logischen, systematischen, rationalen und strengen Methodik