Blink! - die Macht des Moments
tatsächlich
aussah, sondern daran, wie Sie sie beschrieben haben. Das ist ein Problem, denn gerade Gesichter können wir erheblich besser
visuell erkennen als mit Worten beschreiben. Wenn ich Ihnen ein Bild von Albert Einstein oder Marilyn Monroe zeigen würde,
dann würden Sie die beiden innerhalb von Sekundenbruchteilen erkennen. Ich nehme an, Sie haben die beiden in diesem Moment
genau vor Augen. Aber wie genau könnten Sie sie beschreiben? Wenn Sie ein paar Sätze über das Gesicht von Marilyn Monroe schreiben
und mir zu lesen geben würden – könnte ich erraten, um wen es sich handelt? Wir alle haben ein instinktives Gedächtnis für
Gesichter. Aber wenn wir dazu gezwungen werden, unsere Erinnerung in Worte zu fassen, dann verlieren wir plötzlich den Zugang
zu diesem Instinkt.
Gesichtserinnerung klingt nach einem ziemlich speziellen Fall, doch Schooler konnte zeigen, dass die verbale Überschattung
auch in anderen Fällen eine Auswirkungen auf die Problemlösungsstrategien unseres Gehirns hat. Nehmen wir folgendes Beispiel:
Vier ältere Herren sitzen im Salon eines Kreuzfahrtschiffs an einem Tisch und spielen Karten. Jeder der vier verliert. Wie
kann das sein?
Dieses Rätsel hat wenig mit Logik zu tun. Sie können es nur durch eine plötzliche Eingebung lösen. Sie dürfen nicht automatisch
davon ausgehen, dass die vier gemeinsam ein und dasselbe Spiel spielen: Jeder spielt Solitaire! Hier ein weiteres Rätsel dieser
Art:
|124| Eine riesige umgedrehte Pyramide aus Stahl steht perfekt ausbalanciert auf ihrer Spitze. Die geringste Bewegung bringt die
Pyramide zum Kippen. Unter der Spitze der Pyramide liegt ein Hundertdollarschein. Wie entfernen Sie den Geldschein, ohne dass
die Pyramide umkippt?
Nehmen Sie sich ein bisschen Zeit, um über dieses Rätsel nachzudenken. Nehmen Sie sich nach ein oder zwei Minuten ein Stück
Papier und einen Stift und schreiben Sie so detailliert wie möglich auf, wie Sie vorgegangen sind, um dieses Problem zu lösen
– welche Strategie Sie angewendet haben, wie Sie an die Sache herangegangen sind und welche Lösungen Sie gefunden haben. Schooler
ließ Versuchspersonen eine ganze Reihe verschiedener Rätsel lösen und stellte fest, dass diejenigen Personen, die ihren Lösungsweg
erklären sollten,
30 Prozent weniger
Rätsel lösen konnten als diejenigen, die dies nicht mussten. Vereinfacht gesagt, wenn Sie Ihre Lösungen aufschreiben müssen,
dann sind die Chancen erheblich geringer, dass Ihnen der Geistesblitz kommt, den Sie benötigen, um das Rätsel zu lösen. So,
wie es schwieriger wird, die Kellnerin in einer polizeilichen Gegenüberstellung zu identifizieren, wenn Sie sie vorher beschreiben
mussten. (Die Lösung des Pyramidenrätsels läuft im Übrigen darauf hinaus, den Geldschein zu zerstören, zum Beispiel indem
Sie ihn verbrennen.)
Die Lösung logischer Probleme wird nicht schwerer, wenn wir uns den Lösungsweg klar machen, im Gegenteil, in vielen Fällen
kann das sogar hilfreich sein. Aber Rätsel, die einen Geistesblitz erfordern, funktionieren nach anderen Spielregeln. »Dieser
Paralyse durch Analyse begegnen wir auch im Sport«, sagt Schooler. »Sobald Sie anfangen, über den Ablauf nachzudenken, kommen
Sie aus dem Tritt, Sie verlieren den Flow. Es gibt bestimmte fließende, intuitive und nichtverbale Erfahrungen, die besonders
empfindlich auf Erklärungsversuche reagieren.« Der menschliche Intellekt ist zu außergewöhnlichen Einsichten und Sprüngen
fähig. Wir können ein Gesicht im Gedächtnis behalten und Rätsel mit |125| einem Geistesblitz lösen. Aber laut Schooler ist diese Fähigkeit äußerst anfällig. Eine plötzliche Einsicht ist weniger die
berühmte Glühbirne, die plötzlich in Ihrem Kopf angeht, als vielmehr eine flackernde Kerze, die beim geringsten Luftzug erlischt.
Gary Klein, ein Experte auf dem Gebiet der Entscheidungstheorie, sprach mit Experten darüber, wie sie in brenzligen Situationen
innerhalb kürzester Zeit zu Einschätzungen der Lage kommen. Unter anderem sprach er mit dem Kommandanten einer Feuerwehrbrigade
in Cleveland, der ihm die Geschichte eines scheinbaren Routineeinsatzes aus seiner aktiven Zeit als Leutnant erzählte. Im
hinteren Bereich eines eingeschossigen Wohnhauses brannte es in der Küche. Die Feuerwehrleute brachen die Tür auf, legten
den Schlauch und öffneten das Wasser, um die Flammen in der Küche zu löschen. Das Feuer hätte
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