Blink! - die Macht des Moments
eines Produktes in einem anderen Produkt untermischen. »Geben Sie mir eine Rolle Kekse oder Cracker«,
sagte sie, »und ich kann Ihnen genau sagen, aus welcher Fabrik sie kommen und was sie dort ›umgearbeitet‹ haben.« Civille
schaltete sich ein. Gerade am Abend zuvor hatte sie zwei Kekse von zwei bekannten Markenfirmen gegessen. »Ich konnte die Umarbeitung
schmecken
!«, sagte sie und verzog das Gesicht erneut. »Wir haben Jahre gebraucht, um das zu lernen«, fuhr sie fort. »20 Jahre. Ist
ein bisschen wie ein Medizinstudium. Erst werden Sie Tester im Praktikum, dann Haustester. Sie testen immer und immer wieder,
und irgendwann werfen Sie einen Blick auf ein Produkt und können objektiv sagen, wie süß es ist, wie bitter, wie karamellig,
oder wie viel Zitruscharakter es hat – und bei Zitrus können Sie sagen: so viel Zitrone, so viel Limone, so viel Grapefruit,
so viel Orange.«
|178| Judy Heylmun und Gail Civille sind Experten. Würden sie auf den Pepsi-Test hereinfallen? Wohl kaum. Ebenso wenig auf die Verpackung
von Christian Brothers. Und sie können ausgezeichnet unterscheiden zwischen etwas, was ihnen nicht schmeckt, und etwas, was
ihrem Gaumen einfach ungewohnt vorkommt. Ihre Erfahrung erlaubt ihnen, einen Blick hinter die verschlossene Tür des Unbewussten
zu werfen. Und damit kommen wir zur letzten und wichtigsten Lektion der Geschichte Kennas, denn nun verstehen wir, warum es
ein Fehler war, die Ergebnisse der Marktforscher stärker zu bewerten als die enthusiastischen Reaktionen der Musikliebhaber
wie etwa der Besucher des Roxy oder der Zuschauer von MTV2. Der erste Eindruck eines Experten ist
anders.
Damit meine ich weniger, dass Experten andere Dinge mögen als der Rest der Bevölkerung, obwohl das natürlich auch der Fall
ist, denn wenn wir Experten auf einem bestimmten Gebiet werden, dann entwickeln wir einen ausgefalleneren und komplexeren
Geschmack. Mir geht es vielmehr darum, dass nur Experten in der Lage sind, ihre ersten Reaktionen auch zu
erklären.
Jonathan Schooler, dem wir bereits im vorangegangenen Kapitel begegnet sind, hat zusammen mit Timothy Wilson ein Experiment
durchgeführt, das diesen Unterschied auf wunderbare Weise verdeutlicht. Es ging um Erdbeermarmelade. Die Zeitschrift
Consumer
Reports
stellte eine Jury von Geschmackstestern zusammen und ließ sie 44 verschiedene Erdbeermarmeladen nach ausgewählten Kriterien
bewerten und in eine Rangordnung bringen. Aus dieser Liste wählten Wilson und Schooler fünf Marmeladen aus, die auf Platz
1, 11, 24, 32 und 44 gelandet waren – Knott’s Berry Farm, Alpha Beta, Featherweight, Acme und Sorrell Ridge – und legten sie
einer Gruppe von Studenten zum Testen vor. Sie wollten sehen, inwieweit das Urteil der Studenten mit dem der professionellen
Tester übereinstimmen würde. Es stellte sich heraus, dass die beiden Gruppen die Marmeladen sehr ähnlich bewerteten. Die Studenten
sahen Alpha Beta vor Knott’s Berry Farm und vertauschten damit die ersten beiden Plätze. Wie die Experten |179| sahen sie jedoch Featherweight auf Platz 3 und Acme und Sorrell Ridge auf den letzten beiden Plätzen. Allerdings vertauschten
die Studenten auch bei den letzten beiden die Reihenfolge und hielten Acme für die schlechteste aller Erdbeermarmeladen. Statistiker
verwenden eine Maßeinheit, die sich Korrelation nennt und die beschreibt, inwieweit man anhand eines Faktors einen anderen
vorhersagen kann; die Bewertungen der Studenten und der Experten korrelierten mit einem Faktor von 0,55, was ein recht hoher
Faktor ist. Daraus lernen wir, dass auch Laien ein recht gutes Gespür für die Qualität von Lebensmitteln haben: Wir erkennen
eine gute Erdbeermarmelade, wenn wir sie schmecken.
Was würde aber passieren, wenn ich Ihnen einen Fragebogen geben und Sie bitten würde, die Gründe aufzulisten, warum Sie eine
Marmelade besser finden als die andere? Es käme zum Chaos. Wilson und Schooler führten ein weiteres Experiment mit Studenten
durch, in dem diese ihr Ranking schriftlich erklären sollten. Diesmal landete Knott’s Berry Farm, nach Ansicht der Experten
die beste Erdbeermarmelade überhaupt, auf dem vorletzten Platz, und Sorrell Ridge, nach Expertenmeinung die schlechteste,
noch davor auf Platz 3. Die Korrelation lag bei 0,11, was bedeutet, dass das Ranking der Studenten so gut wie nichts mehr
mit dem der Experten gemeinsam hatte. Das erinnert stark an die Experimente Schoolers, die
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