Blink! - die Macht des Moments
unbewusst. John Gottman war nicht zufrieden mit seinen instinktiven
Reaktionen auf Paare, also nahm er Tausende Männer und Frauen auf Video auf, brach jede Aufnahme in Sequenzen von einer Sekunde
herunter, wertete sie mithilfe eines ausgeklügelten Systems aus – und heute kann er in einem Restaurant sitzen und mit wenigen
Blicken die Ehe des Paares am Nebentisch analysieren. Der Tennistrainer Vic Braden war frustriert, dass er zwar immer im Voraus
wusste, wann ein Spieler einen Doppelfehler machen würde, aber nicht sagen konnte, warum. Heute arbeitet |182| er mit Biomechanikern zusammen, die Tennisspieler auf Video aufzeichnen, um mithilfe digitaler Technik genau herausfinden
zu können, was bei einem Doppelfehler passiert. Und Thomas Hoving konnte nach zwei Sekunden sagen, dass der Kouros des Getty
Museums eine Fälschung war, weil er im Laufe seines Lebens zahllose antike Skulpturen gesehen und gelernt hatte, den ersten
Gedanken, der ihm durch den Kopf schießt, zu verstehen und zu interpretieren. »In meinem zweiten Jahr im Metropolitan Museum
of Art in New York hatte ich das große Glück, dass ein Kurator aus Europa kam und buchstäblich die ganze Sammlung mit mir
durchgegangen ist«, sagt er. »Abend für Abend gingen wir in die Lager, holten Sachen aus den Kisten und sahen sie uns genau
an. Es waren Tausende von Objekten. Wir waren jeden Abend bis zehn Uhr da, und es ging nicht nur darum, einen kurzen Blick
auf jeden Gegenstand zu werfen. Wir haben sie uns angesehen und angesehen und noch mal angesehen.« In diesen Nächten im Keller
des Museum baute sich sein Unbewusstes eine Datenbank auf. Er lernte, seine Gefühle und sein formales Wissen über Stil, Materialien
und Wert zusammenzubringen. Wann immer wir auf einem Gebiet, das uns wichtig ist, besonders gut sind, verändern Erfahrung
und Leidenschaft unsere ersten Eindrücke.
Was nicht heißen soll, dass unsere Reaktionen notwendigerweise danebenliegen, wenn wir uns außerhalb unserer besonderen Wissensgebiete
bewegen. Es bedeutet nur, dass es ihnen an Tiefe fehlt. Sie sind schwer zu erklären und leicht aus der Bahn zu werfen. Sie
wurzeln nicht in echtem Verständnis. Trauen Sie sich beispielsweise zu, den Unterschied zwischen Coca-Cola und Pepsi zu erklären?
Das ist eine überraschend schwierige Angelegenheit. Geschmackstester verwenden eine so genannte DOD-Skala (degree of difference
oder Unterschiedsgrade), um Produkte innerhalb derselben Kategorie zu bewerten. Die Skala reicht von 0 bis 10, wobei 10 den
größtmöglichen Unterschied beschreibt. Verschiedene Lieferungen desselben Produkts können sich schon um 1 bis 2 Punkte unterscheiden.
Die Essigchips von Wise oder auch |183| von Lay haben beispielsweise einen DOD von 8. Nahrungsmittel mit einem DOD von 5 oder 6 sind sich schon ähnlicher, aber immer
noch auseinander zu halten. Coca-Cola und Pepsi haben dagegen nur einen DOD von 4, und der Unterschied kann sogar noch geringer
ausfallen, wenn die Colas ein bisschen älter sind, der Kohlensäuregehalt abgenommen hat und die Vanille ein bisschen pflaumiger
schmeckt.
Das heißt, wenn uns jemand nach den Unterschieden von Coca-Cola und Pepsi befragt, dann werden wir kaum sinnvolle Antworten
geben können. Wir können sagen, ob wir eine Cola mögen oder nicht, und vielleicht können wir noch ein paar vage Aussagen über
den Kohlesäuregehalt, den Geschmack, die Süße oder Säure machen. Aber bei einem DOD von 4 muss man schon ein professioneller
Tester sein, um die subtilen Nuancen zu entdecken, durch die sich die beiden Getränke voneinander unterscheiden.
Ich kann mir vorstellen, dass einige von Ihnen, besonders regelmäßige Cola-Trinker, das nicht so auf sich sitzen lassen wollen.
Zugegeben, ich übertreibe ein bisschen. Vielleicht sind Sie tatsächlich in der Lage, Coca-Cola und Pepsi voneinander zu unterscheiden.
Vielleicht probieren Sie es ja selbst einmal aus. Bitten Sie einen Freund, Ihnen in ein Glas Pepsi und in ein anderes Glas
Coca-Cola zu gießen, und versuchen Sie, die beiden voneinander zu unterscheiden. Nehmen wir an, Sie haben das geschafft –
nicht schlecht! Aber machen Sie den Test nun ein zweites Mal. Diesmal gibt Ihnen Ihr Freund
drei
Gläser, von denen zwei mit der einen und das dritte mit der anderen Cola gefüllt sind. Getränketester nennen das einen Dreieckstest.
Diesmal sollen Sie gar nicht sagen, welches davon Coca-Cola ist und welches Pepsi – ich möchte
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