Blink! - die Macht des Moments
ich im Kapitel über van Riper vorgestellt
habe und die belegten, dass allzu viel Nachdenken einen Geistesblitz verhindert. Als die Testpersonen über ihren Marmeladengeschmack
nachdenken sollten, verwandelten sie sich in Analphabeten.
In dem früheren Kapitel ging es jedoch lediglich um Dinge, die uns bei der Problemlösung behindern. Hier geht es um den Verlust
einer sehr viel grundsätzlicheren Fähigkeit, nämlich um die Fähigkeit, zu wissen, was wir wirklich wollen. Außerdem können
wir in diesem Fall sehr viel genauer erklären, warum Introspektion unsere Reaktionen durcheinanderbringt. Es liegt ganz einfach
daran, dass wir keinerlei Kriterien haben, nach denen wir unsere Reaktionen auf den Geschmack einer Marmelade erklären |180| könnten. Unbewusst wissen wir, was eine gute Marmelade ist. Mit einem Mal sollen wir anhand einer Liste von Begriffen erläutern,
warum wir zu dieser Ansicht kommen, doch wir sind noch nicht einmal in der Lage, diese Begriffe zu verstehen. Da ist zum Beispiel
von »Textur« die Rede, aber was bedeutet dieses Wort? Wir haben vermutlich nie über die Textur einer Marmelade nachgedacht,
geschweige dass wir verstehen, was mit diesem Wort gemeint ist. Vermutlich ist uns die Textur auch völlig gleichgültig. Doch
plötzlich verlangt jemand von uns, dass wir uns darüber Gedanken machen sollen, und mit diesem Begriff im Kopf probieren wir
erneut und stellen fest, dass die Textur wirklich ein bisschen komisch ist – vielleicht mögen wir diese Marmelade doch nicht.
Wilson erklärt, dass wir bei dieser Vorgehensweise zuerst eine plausible Erklärung entwickeln, warum wir etwas mögen oder
nicht, und uns danach so entscheiden, dass unsere Vorliebe auf diese Erklärung passt.
Marmeladenexperten haben dieses Problem nicht, wenn sie ihr Geschmacksurteil erklären sollen. Geschmackstester erlernen ein
hochspezifisches Vokabular, das es ihnen erlaubt, jede Nuance eines bestimmten Nahrungsmittels zu erfassen. So gibt es beispielsweise
für eine Mayonnaise allein sechs verschiedene Kategorien für die Beurteilung des Äußeren (Farbe, Farbintensität, Chroma, Glanz,
Klumpigkeit und Blasigkeit), zehn für die Textur (Haftung an der Lippe, Festigkeit, Dichte, und so weiter), vierzehn für den
Geschmack, wobei drei Unterkategorien unterschieden werden: Grundgeschmack (salzig, süß, sauer), Aroma (Ei, Senf, und so weiter)
und chemische Gefühlsfaktoren (scharf, brennend, herb). Jeder dieser Faktoren wird auf einer Skala von 0 bis 15 bewertet.
Wenn Sie beispielsweise die Textur eines bestimmten Lebensmittels beurteilen wollen, dann ist eine der Kategorien, die Sie
sich ansehen, die Glitschigkeit. Die Bewertung 0 wird vergeben, wenn etwas überhaupt nicht glitschig ist, und 15 bedeutet
sehr glitschig. Gerbers Babybrei mit der Geschmacksrichtung »Rindfleisch mit Soße« erhält eine 2, Danone Vanillejogurt eine
7,5 und Miracle |181| Whip eine 13. Wenn etwas weniger glitschig ist als Miracle Whip, aber glitschiger als Vanillejogurt, dann können Sie ihm vielleicht
eine 10 geben. Oder nehmen wir Knusprigkeit. Die Schoko-Müsliriegel von Quaker Oats bekommen eine 2, die Cracker von Keebler
eine 5 und Kellogg’s Cornflakes eine 14. Jedes Produkt im Supermarkt kann auf diese Weise bewertet werden, und wenn ein Geschmackstester
ein paar Jahre mit diesen Skalen gearbeitet hat, dann kommt er automatisch zu seinem Urteil. »Wir haben gerade Kekse von Oreo
getestet und sie mit 90 verschiedenen Kategorien nach Aussehen, Geschmack und Textur beurteilt.« Heylmun machte eine Pause,
in der sie sich noch einmal erinnerte, wie sich ein Keks von Oreo anfühlt. »Wir haben festgestellt, dass sich elf davon in
einem kritischen Bereich bewegen.«
Unsere unbewussten Reaktionen kommen aus einem Raum hinter einer verschlossenen Tür, und hinter diese Tür können wir nicht
schauen. Aber mit genügend Erfahrung und Training können wir lernen, unsere Spontanentscheidungen und ersten Eindrücke zu
interpretieren und zu entschlüsseln. Der Prozess ähnelt ein wenig der Psychoanalyse: Unter Anleitung eines Experten analysieren
die angehenden Experten Jahre lang ihre Unbewusstes, bis sie verstehen, wie es funktioniert. Die Ausbildung von Judy Heylmun
und Gail Civille verlief im Grunde genau so, nur dass sie nicht ihre eigene Psyche studiert haben, sondern ihr Gefühl für
Mayonnaise und Oreo-Kekse.
Jeder Experte durchläuft diesen Prozess, ob bewusst oder
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