Blitz bricht aus
fliegenden Piloten dauernd durch wilde Schroffen und Zacken hindurchwinden mußten. Es waren erfahrene Flieger, die schon andere Suchaktionen über demselben wildzerklüfteten Gebiet erfolgreich durchgeführt hatten; aber diesmal blieb alle Mühe vergeblich. Daraus mußte man wohl schließen, daß Alec nicht mehr lebte; sonst hätte er ja die immer wieder kreisenden Flugzeuge bemerken und ein Zeichen geben müssen. Vielleicht war sein Pferd gleich in der Nacht einem Raubtier zum Opfer gefallen, denn das ganze Gebiet war menschenleeres Ödland, gefürchtete und vermiedene Wildnis, in der es noch Pumas und Bären, Wolfsrudel und Coyoten gab. Wenn das Pferd sein Leben eingebüßt hatte, war der Junge wohl ebenfalls umgekommen, denn zu Fuß gab es in diesen Bergen für einen Menschen ohne Waffen und Proviant kein Entrinnen. Trotzdem wurden nach den Flugzeugen noch Trapper eingesetzt, um das ganze Gebiet zu durchsuchen. Zwei von ihnen fanden die Hufspuren des Hengstes und folgten ihnen bis zu der geröllbedeckten Schlucht, die Blitz durchquert hatte. An ihrem Beginn hörten die Spuren auf, denn die Steine zeigten selbstverständlich keine Eindrücke.
Die Männer starrten die letzten ovalen Abdrücke seiner Hufe an. »Betrachte sie genau«, sagte der eine, »das ist sicherlich das Letzte, was Menschen von diesem berühmten Pferd zu Gesicht bekommen.«
Der andre Trapper antwortete nicht; er hob nur seinen Kopf und blickte gedankenverloren auf das wüste, unwirtliche, stark ansteigende Terrain. Hier hinterließ kein Lebewesen mehr eine Spur.
»Er hat sich nach Norden gewendet«, sagte er schließlich, »ganz wie man vermutet hat.«
Der andre richtete sich auf und wandte sich um. »Laß uns zurückgehen; hier kommen wir nicht weiter«, sagte er. »Wir werden berichten, was wir gefunden haben. Es ist nicht an uns zu entscheiden, was nun geschehen soll.«
Das Passagierflugzeug war schon vor Stunden von New York abgeflogen, aber zwischen Alecs Vater und Henry Dailey war noch nicht ein Wort gefallen. Die furchtbare Nachricht hatte sie am frühen Morgen erreicht; sie waren völlig zusammengebrochen. Für die beiden alten Männer war das Leben ohne Alec wertlos.
Jetzt legte Henry seine Hand auf Herrn Ramsays Knie. »Wir müssen glauben, daß er noch lebt«, sagte er.
»Glaubst du es denn, Henry?« Alecs Vater sprach so leise, daß er kaum zu verstehen war. »Die Reporter haben gesagt, daß die Suche schon am frühen Morgen aufgenommen worden ist.« Mit zitternden Händen bedeckte er sein Gesicht; Schluchzen erschütterte seinen langen, schmalen Körper. »Aber wir dürfen den Glauben nicht aufgeben, daß er lebt! Wir dürfen es nicht!« Nach diesen beschwörenden Worten schwieg Henry lange, während er seine Hand auf seines Freundes Knie ruhen ließ. Schließlich sprach er wieder. »Denke nur daran, daß er Blitz bei sich hat! Das ist entscheidend, Bill!«
»Gott sei Dank, daß wir das wenigstens wissen, es ist meine einzige Hoffnung«, erwiderte Alecs Vater. Er sah Henry mit verzweifelten Augen an. Seine Stimme klang bitter, als er sagte: »Aber warum ist Alec weggeritten? Warum blieb er nicht in der Nähe des Flugzeugs?«
»Das Pferd war in schwerer Not«, meinte Henry. »Die Piloten berichteten, es habe einen Anfall von Kolik erlitten. Wahrscheinlich hat Alec es bewegen wollen, denn das war für ihn das einzige Mittel, Blitz zu helfen. Anders kann ich mir sein Verhalten nicht erklären.«
Danach sprach keiner von beiden mehr. Der Himmel wurde dunkel, es wurde schnell Nacht. Alecs Vater starrte vor sich hin. Henry versuchte, sich selbst immer wieder Mut zu machen mit dem Gedanken, daß Alec und Blitz beieinander waren.
Doch Blitz verbrachte seine zweite Nacht hoch oben auf einer Weide im Süden, viele hundert Kilometer entfernt von der Gegend, in der sie nach ihm suchten. Und noch viel weiter südlich, in einem andern Staat, erwachte Alec Ramsay aus seinem langen, tiefen Schlaf im Innern des ratternden Lasters.
SECHSTES KAPITEL
Die lange Nacht
Der Laster vollführte eine Schwenkung und warf Alec gegen die Kante einer Kiste. Er merkte, daß der Lastwagen holperte und langsamer fuhr. Er tastete nach der Schwellung an seinem Kopf und fühlte eine Wunde, in der das Blut pochte, doch hatte der unerträgliche Schmerz aufgehört; der Schlaf hatte ihm geholfen. Wie lange fuhr er nun wohl schon? Aber das war nicht wichtig; wichtig war nur die sogleich wieder auftauchende Frage: »Wer bin ich? Was ist mit mir
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