Blitz der Hengst des Sonnengottes
sollst bei uns wohnen, bis die Zeit des Aufbruchs gekommen ist. Mein Vater ist mit den andern Männern zur Jagd gegangen, aber sie werden bald heimkehren, denn die Sonne begibt sich zur Ruhe.« Sein braunes Gesicht drückte plötzlich Sorge aus. »Haben wir Zeit genug, auf sie zu warten?«
Alec nickte: »Wir haben viel Zeit.« Dann wandte er sich an die Menschengruppe, die sich um ihn drängte. »Wer unter euch ist der Häuptling?« fragte er. »Ich möchte mit ihm sprechen.«
»Wir haben keinen Häuptling«, antwortete Alph. »Nur weise, alte Männer, unsere Ältesten. Aber mein Vater wird mit dir sprechen. Er wird alles tun, was getan werden muß.«
»Also kann dein Vater mich verstehen«, sagte Alec hoffnungsvoll. »Wir haben Mais für >Schwarzes Feuer<«, fuhr der Knabe eifrig fort. »Wir wollen ihn vor der Reise gut füttern.«
»Wunderbar«, antwortete Alec. Im geheimen hoffte er von ganzem Herzen, daß nichts ihn zwingen würde, das unterirdische Dorf noch einmal betreten zu müssen.
Später, als Alec den Hengst versorgt hatte und er in einem kleinen, eingezäunten Gehege, wo man ihn beobachten konnte, gut untergebracht war, folgte Alec dem Jungen ins Haus. Es war ein aus alten Brettern zusammengenagelter Schuppen, dessen Ritzen mit schwarzer Kunststoffolie verstopft waren.
Drinnen war es schon jetzt in der Dämmerung dunkel und kalt. Den einzigen Raum beleuchtete das schwache Licht einer Öllampe, die in der Mitte auf einem Holztisch stand. Ein leeres Ölfaß in der Ecke wurde als Ofen benutzt, zum Kochen und Wärmen. Auf dem Boden waren Schaffelle ausgebreitet, die als Betten dienten. Die Mutter des Knaben spülte Tongefäße und Teller in einer Schüssel.
Alec sah zu, wie die Frau Maiskörner zerstieß, zu einem dicken Brei verarbeitete und ihn in Maisblätter wickelte. Dann legte sie die Maisrollen in die heiße Asche, bedeckte sie nochmals mit Blättern und Sand und schichtete ein kleines Feuer über ihnen auf. Nach einer Weile rief sie alle zum Essen, stellte einen Krug mit dünner Milch auf den Tisch und füllte die Becher. Alec schmeckten die dampfenden Maisrollen herrlich, obwohl er nicht hätte sagen können, ob sie nun wirklich so gut waren oder ob sein Hunger sie ihm so erscheinen ließ. Das spielte auch keine Rolle; er aß, bis er nicht mehr konnte, und als er satt war, erfüllte ihn eine seltsame Zufriedenheit.
Später stand er draußen in der rasch hereinbrechenden Dunkelheit und überlegte, wie er es anstellen sollte, die Meinung dieser Menschen über ihn zu ändern, damit sie ihm halfen, von hier wegzukommen. Wenn die Männer von der Jagd heimkehrten, würde er versuchen, ihnen klarzumachen, daß keinerlei Grund bestand, das Heilige Pueblo aufzusuchen. Sie konnten doch selbst sehen, daß die Welt trotz ihrer schlimmen Prophezeiung nicht unterging.
Die ersten Sterne tauchten am Nachthimmel auf. Alec hatte sie noch nie so zahlreich und so hell leuchten sehen. Das lag sicher an der Höhe der Mesa und der klaren Luft hier oben. Kein Wunder, daß die Indianer ihre Prophezeiungen aus den Sternen lasen. Er suchte nach dem Blauen Stern, von dem der alte Mann gesprochen hatte, konnte ihn aber nicht finden.
Was hatte der alte Mann gesagt? Er habe gesehen, wie der Blaue Stern explodierte. Dreiundzwanzig Tage war er bei Tageslicht sichtbar gewesen, bevor er verblaßte, und dann bei Nacht noch einmal sechshundertdreiundreißig Tage. »Das war das Zeichen, daß deine Ankunft unmittelbar bevorstand.«
Mein Gott, dachte Alec, das war doch alles Dichtung, alles die Einbildung eines alten Mannes.
Die Luft war kalt, und Alec atmete schwer. Dennoch hatte er keine Lust, wieder ins Haus zu gehen. Er streckte sich und schaute noch einmal zu den Sternen empor.
Eigentlich war es leicht, überlegte er, sich wie die Indianer in Legenden zu verlieren; und verführerisch. Für sie stand alles Überirdische am Nachthimmel geschrieben. Und dennoch hatte sich dieser Stamm nicht einfach aus dem Leben zurückgezogen, sondern erwartete demütig, was ihm nach seinem festen Glauben bestimmt war. Das war mehr, als Alec von vielen Weißen sagen konnte, einschließlich sich selbst. Hatte er nicht geglaubt, daß seine eigene Welt nach Pams Tod untergehen würde, und war er nicht davor davongelaufen?
Regungslos lauschte er auf die Stimmen der Mesa. Einige waren ihm vertraut, andere nicht. Es gab Laute, bei denen er nicht sicher war, ob er sie wirklich hörte. An diesem Ort mußte man sich vor Sinnestäuschungen hüten.
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