Blitz der schwarze Hengst
daran, das Paket zu öffnen. Ein kleiner Rennsattel samt Zaumzeug kam zum
Vorschein. Wortlos nahm Henry die Sachen in die Hände und betrachtete sie. Nach
einer Weile kramte er weiter. Fast zärtlich packte er eine knallgrüne
Jockeymütze und ein Hemd aus. Alec sah, daß das Paket außerdem eine verblaßte
Reithose und schwarze Stiefel enthielt.
Henry hob die Augen und sagte leise: »Alles noch
vorhanden, sogar meine Nummer.« Er hielt das Hemd in die Höhe; um den einen
Ärmel war immer noch das Band mit der weißen Zahl 3 . »Kommt mir vor, als
hätte ich erst gestern mein letztes Rennen damit geritten.«
Er brach ab. Alec schwieg; er merkte es Henrys
Miene an, daß er jenes Rennen nochmals im Geist erlebte.
»Wir stellten uns auf«, sprach der kleine Mann
wie zu sich selbst weiter. »So viele Zuschauer hatte ich noch nie gesehen. Alle
setzten auf Chang — er war das beste Rennpferd der damaligen Zeit. Wie sie
jubelten, als Chang erschien! Die andern Pferde wollten nicht Stillstehen. Aber
Chang ließ sich durch nichts anfechten, er wartete ruhig auf das Öffnen der
Schranke. Von den andern sah ich nichts mehr während des Rennens. Chang ging
sofort in Führung, und ich ließ ihm freien Lauf — wir sausten als erste durchs
Ziel.« Henry strich sich mit der Hand über die Stirne. »Erst als wir hielten,
zitterte er plötzlich, schwankte, versuchte sich vergeblich auf den Füßen zu
halten und fiel tot zu Boden. Die Ärzte fanden die Todesursache nicht heraus —
sie meinten, es sei ein Herzschlag gewesen. Ich wußte nicht, was ich glauben
sollte. Für mich zählte ja auch nur, daß Chang nicht mehr lebte. Der Rekord,
den er damals aufgestellt hat, ist heute noch gültig; auf keiner Rennbahn ist
er bisher geschlagen worden.«
Henry wandte den Blick zu Blitz. »Und ich habe
geglaubt, daß ich niemals ein Pferd sehen würde, das diesen Rekord brechen
könnte... bis jetzt.« Blitz streckte den langen Hals weit über die Tür der Box.
Er schüttelte den Kopf und wieherte.
Sorgfältig legte Henry die Sachen zusammen und
verschnürte das Bündel, um es in der Truhe zu verwahren. Dann drehte er sich um
und schaute den Knaben an. »Etwas steht uns allerdings im Wege, wenn wir Blitz
zum Rennen anmelden wollen, Alec.«
»Meinen Sie, weil er so wild ist?«
»Nein, das ist es nicht. Bis zum Frühjahr
dürften wir ihn einigermaßen gezähmt haben. Aber vorhin las ich im
>Tagesboten< einen Artikel, der unter anderm erzählt, wie du in den
Besitz des Pferdes gekommen bist. Das hattest du mir gar nicht gesagt.«
»Ich wollte es noch tun, Henry. Bisher bin ich
nicht dazu gekommen. Wir hatten ja noch keine ruhige Stunde. Aber wieso ist das
ein Hindernis?«
»Du hast seinen Stammbaum nicht, Alec. Niemand
weiß, von welchem Hengst und welcher Stute Blitz abstammt. Um beim Rennen
mitzulaufen, muß ein Pferd einen beglaubigten Stammbaum haben.«
Alec wurde es ganz elend zumute — er hatte sich
gar nicht klargemacht, wie sehr es ihn danach verlangte, Blitz auf der Rennbahn
zu sehen. »Heißt das, daß wir erst seine Abstammung herausfinden müssen, bevor
wir ihn anmelden können?«
»Leider, mein Junge«, antwortete Henry. Alec
merkte, daß der Alte ebenso enttäuscht war wie er selbst. »Gibt es keine
Möglichkeit, sich darüber Auskunft zu verschaffen?«
»Ich wüßte keine«, erwiderte Alec. »Ich kenne
den Namen des arabischen Hafens, wo Blitz aufs Schiff kam; aber das ist alles.
Die Menschen, die auf dem Schiff waren, sind allesamt ertrunken, so daß wir
niemand befragen können.«
Henry überlegte eine Weile. Dann sagte er: »Ich
will einem Freund von mir schreiben, der Sekretär vom Jockeyklub ist.
Vielleicht kann er uns irgendwie helfen.«
»Ach, hoffentlich, Henry!«
»Es bleibt uns noch der ganze Winter für
Nachforschungen«, erklärte Henry. »Möglich, daß wir etwas herausfinden. Der
Hengst ist ein so prachtvolles Tier, daß ich mich wundern würde, wenn er
nirgendwo eingetragen wäre.« Er ging zur Tür. »Ich muß jetzt nach Hause, sonst
wird meine Frau böse.« Er blieb stehen und holte aus seiner Tasche einen Zettel
hervor. »Hier habe ich aufgeschrieben, was für Futter wir für Blitz brauchen.
Wenn du fertig bist, Alec, kannst du es im Laden holen. Es geht nicht, daß der
große Kerl Napoleon allen Hafer wegfrißt.« Er machte eine Pause und steckte
wieder die Hand in die Tasche. »Da wir zusammen arbeiten werden, ist es nur
recht und billig, wenn ich mich an den Ausgaben beteilige. Also werde
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