Blitz: Die Chroniken von Hara 2
überstanden wir aber allemal besser als ein etwaiges Aufeinandertreffen mit den Nabatorern.
Ich machte mir einen Spaß daraus, Shen bei seinen Übungen zu beobachten. Beispielsweise wenn er, vor Eifer schnaubend, hartnäckig versuchte, ein paar Kiesel allein mit seinem Blick von der Stelle zu bewegen. Das ärgerte ihn zwar, aber immerhin verlor er nicht die Beherrschung und fing keinen Streit mit mir an.
Jedes Mal, wenn Shen einen Erfolg erzielte, verschärfte Lahen den Unterricht. Shen war damit zwar überhaupt nicht einverstanden, nahm die hohen Anforderungen jedoch schweigend hin. Und Lahen hatte mir erzählt, dass er tatsächlich Fortschritte machte.
An einem Abend, als Shen gerade Brennmaterial fürs Feuer suchte, fragte ich meinen Augenstern: »Warum bildest du ihn eigentlich aus?«
Sie bettete den Kopf auf meine Schenkel und dachte nach. Als ich schon annahm, sie würde nicht mehr antworten, sagte sie: »Weißt du … ich … also … Das ist eine schwierige Frage, wenn ich ehrlich sein soll.« Sie lauschte auf den traurigen Schrei eines Nachtvogels. »Vielleicht weil ihn Ghinorha als Schüler genommen hätte. Und in mir steckt zu viel von ihr. Was lachst du?«
»Entschuldige«, sagte ich und küsste sie auf die Stirn. »Es ist einfach so aus mir herausgeplatzt.«
Lahen sah mich weiterhin herausfordernd an.
»Der einzige Grund ist also der, dass Ghinorha es auch gemacht hätte?«, fragte ich schließlich.
»Nein. Jedenfalls nicht nur … Er ist ein Heiler, und ihm diese Bitte auszuschlagen wäre ein Verbrechen gegenüber der Magie. Denn das hieße, dass ich mit eigenen Händen eine kostbare und seltene Gabe ersticken würde.«
»Du hast den Jungen ganz vortrefflich dazu gebracht, dich um diesen Unterricht zu bitten«, antwortete ich grinsend.
»Das stimmt«, gab sie lächelnd zu. »Es war gar nicht so schwer, wie ich zunächst gedacht hatte.«
»Und das hast du natürlich auch nur getan, damit seine ach so seltene Gabe nicht verloren geht?«
»Unter anderem«, erwiderte sie, ohne auf meine Ironie einzugehen. »Aber ich hatte noch zwei andere Gründe. Erstens habe ich Ghinorha versprochen, alle auszubilden, die dessen würdig sind. Und zweitens tat er mir einfach leid.«
»Hast du einmal darüber nachgedacht, wie es weitergeht, wenn er ausgebildet ist? Soll er dann zu den Schreitenden gehen?«
»Der Turm würde dieses Können nie dulden.«
»Aber er ist ein Heiler!«
»Das war der Skulptor auch«, antwortete Lahen mit einem traurigen Lachen. »Obendrein war er tausendmal talentierter, erfahrener und geschickter als unser Freund hier. Das hat den Turm jedoch nicht gehindert, ihn kurzerhand zu töten. Wenn die Schreitenden dahinterkämen, dass Shen über den dunklen Funken gebietet, würde wohl nichts als ein Häufchen Asche von ihm übrig bleiben. Ich kann dir nicht sagen, weshalb sie ihn töten würden, ob aus Angst oder aus Neid – aber umbringen würden sie ihn.«
»Und Ceyra Asani? Sie ist doch ganz begierig auf dein Wissen. Und zwar nicht, um es in den Dienst des Turms zu stellen, sondern für sich selbst. Shen könnte ihr doch alles zeigen, was du ihn gelehrt hast. Sie hätte also eigentlich keinen Grund, ihn umzubringen.«
»O doch, den hätte sie«, antwortete Lahen, ohne auch nur darüber nachzudenken. »Nämlich dann, wenn Shen ihr alles gezeigt hätte und in ihren Augen nur noch eine Gefahr darstellte. Dann wird sie ihn ohne zu zögern in die Glücklichen Gärten schicken. Das gilt übrigens auch für uns beide. Früher oder später wird uns die Mutter die Seele aushauchen. Im Augenblick können wir nichts dagegen unternehmen, sondern müssen nach ihrer Pfeife tanzen. Dies ist übrigens ein weiterer Grund, warum ich Shen helfe. Er ist nicht so schlecht, wie er manchmal zu sein vorgibt. Da brauchst du gar nicht so ein Gesicht zu ziehen. Ich weiß, wovon ich rede. Wenn er erst mal entsprechend ausgebildet ist und die Kampfmagie beherrscht … wer weiß, vielleicht rettet er uns eines Tages noch unsere Haut.«
»Ich glaube nicht, dass er sich je gegen Ceyra Asani stellen würde«, widersprach ich. »Und wenn doch, würde sie ihn vermutlich ohne mit der Wimper zu zucken zerquetschen. Du hast selbst gesagt, dass sie sehr stark ist.«
»Das ist sie. Andererseits habe ich schon oft genug erlebt, welche Überraschungen das Leben bereithält. Mitunter sind sie höchst bizarr.«
»Viel häufiger aber sind sie höchst unangenehm.«
In diesem Moment kam Shen zurück, sodass wir
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