Blitz: Die Chroniken von Hara 2
Achseln. Von mir aus konnte er gern bleiben, wenn er das unbedingt wollte.
»Sei auf der Hut«, schärfte ich Shen ein. Ich wünschte inständig, wir hielten etwas Verlässlicheres als eine stumpfe Sense und eine Sichel in Händen, denn viel würden wir mit diesen Klingen nicht ausrichten.
Unweit der Scheune lagen zwei Leichen, Nabatorer Soldaten. Irgendeine gute Seele hatte sie geköpft.
Ein Flügel des Herrenhauses war teilweise zerstört, das Dach eingestürzt. In den Fenstern fehlte das Glas, die Mauern wiesen tiefe Risse auf.
»Wir müssen uns teilen, Shen. Ich seh mich im Haus um, du übernimmst das Gelände. Wir treffen uns dann am Dienstboteneingang. Wir müssen Lahen finden. Und sei vorsichtig!«
Zögernd nickte er. Offenbar behagte ihm die Aussicht, allein auf Streifzug zu gehen, nicht sonderlich.
Die Beete mit den Astern gab es nicht mehr. An ihrer Stelle klaffte ein Loch aus verbrannter Erde. Vor dem Eingang ins Haus lag ein toter Nekromant rücklings auf dem Boden. Ich erkannte ihn als den Mann wieder, der mich aus meiner Zelle zu Lepra geführt hatte. Sein Unterkiefer hatte sich in ein blutiges Nichts verwandelt, die Augen waren ihm herausgebrannt.
Das schaffte niemand so ohne Weiteres. Einer Person, die einen Nekromanten so zurichten konnte, wollte ich lieber nicht begegnen. Hätte ich nicht Lahen finden müssen, ich hätte mich bei dem Anblick wohl auf der Stelle vom Anwesen verdrückt.
Ich warf die Sense weg, beugte mich über die Leiche und nahm das Sdisser Krummschwert an mich. Im Haus traf ich auf keinen einzigen lebenden Menschen – dafür aber auf mehr als genug Tote. An der Treppe, die in den ersten Stock hinaufführte, lag in einer Blutlache eine junge Dienerin. In den Zimmern entdeckte ich mehrere Diener, die alle mit einer gewöhnlichen Waffe ermordet worden waren.
Ich warf einen Blick in die Bibliothek, die teilweise den Flammen zum Opfer gefallen war. Die Schränke neben dem Fenster loderten noch immer fröhlich, das Feuer drohte schon in der nächsten Sekunde auf die schweren Gardinen überzuspringen. Als ich meinen Weg fortsetzte, wäre ich beinahe über mehrere Leichen gestolpert. Zwei von ihnen waren noch in einem Stück, die anderen beiden durften sich dieses Glückes nicht rühmen.
Ein Mann hatte beide Beine verloren. Da eine breite Blutspur zu ihm führte, musste der arme Kerl versucht haben, sich vor einem Kampf in Sicherheit zu bringen. Die zweite Leiche erinnerte an ein Sieb. Der Mann sah aus, als habe ihn ein Schwarm fleischfressender Wespen angegriffen.
Alle vier trugen weiße Umhänge. Zu Lebzeiten hatten sie über diese grausamen Stäbe mit dem Knauf in Schädelform geboten.
Drei der Nekromanten sah ich zum ersten Mal, bei dem vierten handelte es sich jedoch um keinen Geringeren als meinen guten, alten Freund Hamsy.
Kaum gelangte ich in den Flügel der Dienstboten, da sah ich einen weiteren Toten in weißem Umhang. Wie viele von diesen Mistkerlen hatten sich denn bloß auf diesem Anwesen verschanzt?!
Plötzlich knarrte hinter mir eine Diele. Ich fuhr herum und schleuderte das Schwert.
Auf Kiras Handtellern tanzte ein Feuer.
»Rühr dich nicht von der Stelle!«, befahl sie. »Bist du allein?«
»Wo ist Lahen?«
»Antworte!«
Da sah ich, was ihr verborgen blieb: Rona schlich sich von hinten an sie heran. Offenbar hatte die Verdammte Lepra sie wirklich schlecht umgeformt, denn der Blick, mit dem sie Kiras Rücken durchbohrte, sprach Bände.
Auf den Boden!, flüsterte sie mir lautlos zu.
Ohne nachzudenken, folgte ich der Aufforderung. Die Verwunderung in Kiras Gesicht wich sogleich nackter Panik. Sie riss den Arm hoch und wirbelte herum – doch es war schon zu spät.
Etwas jaulte auf.
Kalter Atem fegte über mich hinweg, und für den Bruchteil einer Sekunde gefror ich bis auf die Knochen. Raureif überzog mein Haar, die Wimpern, die Brauen und den Bart. An der gegenüberliegenden Wand bildeten sich Eiszapfen, Kira verwandelte sich in eine Eisstatue, erstarrte mit erhobener Hand, weit aufgerissenen Augen und offenem Mund.
Rona setzte sich auf den Boden, zog die Knie an, bettete das Kinn darauf, umfasste die Beine mit den Armen und schaukelte von einer Seite auf die andere. Jeder vernünftige Ausdruck kroch aus ihrem Blick, über ihre Wangen rannen Tränen. »Bitte, Herrin!«, flüsterte sie. »Bitte! Bestraft mich nicht! Nicht noch mehr Schmerzen! Bitte, Herrin! Übergebt mich nicht Kira! Bitte!«
Meine Versuche, sie zu beruhigen, führten zu nichts.
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