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Blitz schickt seinen Sohn

Blitz schickt seinen Sohn

Titel: Blitz schickt seinen Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Farley
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dieses Pferd ihn tötet.« Henrys Hand lag auf der Stalltürklinke, als er rhythmischen Hufklang hörte und gleich darauf Vulkan aus seiner Box aufs Feld hinausgaloppieren sah. Finsteren Gesichts sah er ihm nach. Er hatte gehofft, ihn im Stall fassen zu können; es würde alles leichter gemacht haben. Jetzt mußte er ihn erst wieder hineintreiben.
    Er entschloß sich, erst den Sattel und alles andere zurechtzulegen, ging in den Stall und nach hinten in die Geschirrkammer, ohne dieses Mal Napoleons sanftes bewillkommnendes Wiehern zu beachten. Er nahm einen schweren Rindledersattel vom Haken und trug ihn, über sein Gewicht seufzend, aus der Geschirrkammer zu Vulkans Box. Dann ging er wieder zurück, öffnete eine große hölzerne Truhe, kramte darin herum und fand endlich eine Reitpeitsche aus hartem Leder. Er klemmte sie unter den Arm und wollte den Truhendeckel schon wieder schließen, als sein Blick auf zwei zusammengerollte Lassos fiel. Nachdenklich ergriff er sie, wickelte einen nach dem andern auf und legte sie wieder zusammen. Es war lange her, seit er einen Lasso gebraucht hatte; aber in seinen jungen Jahren hatte er schnell und sicher damit umgehen können. Ein Lasso würde ihm heute vielleicht von Nutzen sein, falls er Schwierigkeiten hatte, Vulkan vom Auslauf in die Box zu treiben. Er warf die aufgerollten Lassos über seine Schulter. Dann verließ er den Stall, um Vulkan einzufangen. Bevor er das Feld betrat, schloß sich seine Faust fest um die harte Reitpeitsche — heute würde er sie gebrauchen, wenn es Vulkan darauf ankommen ließ. Bisher hatten er und Alec es nur mit Freundlichkeit und Konsequenz versucht, Vulkan zu zähmen; es war restlos mißglückt. Jetzt mußte ihm endlich mit Gewalt klargemacht werden, wer der Herr war. Das war bedauerlich, aber unumgänglich. Henry war sich der Gefahr, in die er sich begab, voll bewußt. Ihm war durchaus klar, daß er sein Leben aufs Spiel setzte, daß er in diesem Kampf mit dem bärenstarken jungen Hengst unterliegen konnte. Kam es dazu — nun, wenn nur Alec die richtige Lehre daraus zog, so hatte es sich trotzdem gelohnt. Aber wie es auch ausging, Vulkan würde erfahren haben, daß es nicht immer nur nach seinem Kopf ging, das wollte er ihm zeigen! Henry preßte die Reitpeitsche zwischen seinen Fäusten.
    Ein leichter Wind kam auf und fächelte Henrys Wangen, als er durchs Gelände schritt. Er wußte, daß Vulkan ihn bereits erspäht hatte, denn er war in der Senke verschwunden. Jetzt brach die Sonne mit wärmenden Strahlen durch die Wolken. Vulkan kam wieder zum Vorschein und stand einen Augenblick auf dem oberen Rand der Senke still, eine schwarze Silhouette in den dichten grauen Schwaden des Morgennebels, der von dem niedrigen feuchten Wiesenland hinter ihm hochwallte. Henry verhielt seinen Schritt, bestürzt von dem unwirklichen, fast gespenstischen Bild, das sich ihm bot: Vulkan stand dort wie der Fürst der Hölle selbst, den dampfenden Feuern seines Reiches entstiegen — kühn, stolz, unangreifbar stand er da! Voller Verachtung schaute er auf den kleinen Menschen herab, der sich anmaßte, ihm seinen Willen aufzwingen zu wollen.
    Henry fühlte sich mit einemmal sehr alt und müde. War es nicht unmöglich, das stolze Pferd zu bezwingen? Durfte er seinen gebrechlichen alten Körper gegen dieses Stück Urkraft einsetzen? Vulkan verharrte an derselben Stelle, den Kopf mit der im Winde flatternden Mähne kühn erhoben. Geradezu gigantisch wirkte er dort oben mit seinem in der Sonne lackschwarz glänzenden Fell; es war ein schöner, aber fast überirdischer Anblick. Angst überkam den alten Mann.
    Viel Zeit verstrich, ehe sich Henry wieder zusammenraffte und mit schleppenden Schritten weiterging. Inzwischen hatte sich seine Furcht in Scham verwandelt, Scham, sich zum erstenmal in seinem langen Leben vor einem Pferd zu fürchten. Während des Gehens kam noch Zorn hinzu. Er war zornig auf sich selbst und ebenso auf das Pferd, das es fertiggebracht hatte, ihn in Schrecken zu versetzen. Wenige Schritte vor Vulkan blieb er stehen und versuchte, sich wieder zu beruhigen. In diesem Augenblick sprang Vulkan leichtfüßig davon, hinüber zum östlichen Zaun. Henry folgte ihm, die Faust um die schwere Lederpeitsche geschlossen. Als er Vulkan fast erreicht hatte, warf dieser den Kopf auf, umkreiste ihn und trabte zur Senke zurück. So ging es eine halbe Stunde weiter. Vulkan kümmerte sich nicht im geringsten um Henrys Versuche, ihn in den Stall zu treiben. Endlich

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