Blitz sucht seinen Vater
ihrerseits haben nicht den Wunsch, in einem Haus zu wohnen.«
Im Schatten hoher Bäume sahen sie jetzt ein Viereck von Ställen vor sich liegen. Ein breiter Torweg führte in einen Innenhof. Über dem Torweg hing eine große Uhr, deren vergoldete Zeiger die Mittagsstunde kündeten. Die Gebäude waren einstöckig und aus Ziegeln erbaut.
Der Scheich ging quer über den Hof zu einem zweiten Torweg, der ins Freie führte. Er sagte zu Alec: »Ich nehme an, daß Sie Ihr Pferd selbst versorgen wollen?«
»Ja«, antwortete Alec. »Blitz läßt nur mich an sich heran. Wo soll ich ihn einstellen?«
»Hier nicht; hier sind die Stutenställe. Für Pferde seiner Art haben wir einen besonderen Stall. Kommen Sie bitte mit.«
Er ging durch den Torweg, und vor sich sahen sie einen Wald, der im Halbkreis einen rund gebauten Stall umschloß. Es war ein wunderschönes Gebäude aus denselben goldfarbenen Steinen wie das große Haus. Drei Türen führten hinein. Demnach enthielt das Gebäude drei völlig getrennte Ställe. Über der Tür des mittleren Stalls war eine große vergoldete Tafel mit einem Flachrelief angebracht. Es zeigte einen Knaben, der ein sich bäumendes Pferd führte. Die Augen des Knaben waren Smaragde, die des Pferdes Rubine.
»Wen stellt das dar?« fragte Alec; er dachte an das Monument in dem großen Wasserbecken, das sie beim Betreten der Hochebene gesehen hatten.
Es dauerte einen Augenblick, bis Abd al Rahman antwortete. Er öffnete unterdessen die Tür des rechts angrenzenden Stalles und bedeutete Alec, Blitz dorthinein zu bringen. Dann sagte er feierlich: »Es ist der Knabe, der einer der größten Stammesführer unseres Landes wurde, mit einem Traumpferd. Sein Name war Barjas Ben Isaak. Er war ein Vorfahr Tabaris und starb 1689 als sehr alter Mann.«
»Und hat er sein Traumpferd gefunden?« fragte Henry, während er Alec in den Stall folgte. Er sah sich rasch um. In der Raufe war Heu, und darunter hing ein Sack mit Hafer. Ein gefüllter Wassereimer stand in einer Ecke. Dort war auch ein Wasserhahn.
»Nein«, sagte der Scheich, »aber er züchtete viele prachtvolle Pferde. Das beste von allen bekam den Stall mit der Tafel. Es ist in Arabien nicht ungewöhnlich, ein bestimmtes Pferd zu vergöttern, mögen wir auch hundert andere haben. So war es im Fall von Barjas ben Isaak.«
Alec hörte der Unterhaltung zu, während er sein Pferd versorgte. Augenscheinlich standen die beiden benachbarten Ställe leer, denn kein Laut war von dort zu hören. Besaß Abd al Rahman im Augenblick keine Hengste, die dieser Ställe würdig waren? Der Hengst, der die Jährlinge und wohl auch Blitz gezeugt hatte, hätte doch diesen Ehrenplatz verdient. Wo steckte er? Immer wieder die gleiche Frage.
Henry fragte Abd al Rahman weiter aus: »Dann war es auch Barjas Ben Isaak, der die Festung baute?«
»Jawohl, denn in jenen Zeiten und noch lange danach waren jene Stämme die mächtigsten, welche die besten Pferde hatten. Ihr ganzes Dasein hing von der Schnelligkeit und der Kraft ihrer Pferde ab. Barjas Ben Isaaks Stamm hatte keine feste Wohnstatt, nicht, weil man es sich so wünschte, sondern weil es notwendig war, denn man brauchte immer neues üppiges Weideland. Außerdem mußte Barjas stets damit rechnen, daß man seine besten Pferde stehlen würde. Er bewachte sie sorgsamer als seine Familie. Der Stammbaum seiner Pferde reichte bis zurück zu Mohammed, und von manchen bis in die Zeit vor dem Propheten.«
Alec war fertig. Er sah sich um. Der Stall war geräumig und der Boden dick mit Stroh gepolstert. Blitz hatte Wasser bekommen und fraß jetzt sein Futter. Sie gingen hinaus, und Alec schloß die untere Hälfte der Stalltür.
Abd al Rahman fuhr fort: »Auf einer der weiten Wanderungen des Stammes nach Norden hörte er von dieser Hochebene. Er brachte seine besten Stuten und Hengste hierher und erbaute die Festung. Er war zuversichtlich, daß er eines Tages, wenn er Ruhe und Frieden hatte, den Hengst würde züchten können, von dem er in seiner Jugend geträumt hatte, einen Hengst, der so schnell war wie der Wind der Wüste, und der Fohlen zeugen würde, die ebenso schnell sein würden wie er.«
»Doch es gelang ihm nicht«, warf Henry ein, denn der Scheich hatte sich umgedreht und sah die vergoldete Tafel über dem mittleren Stall an.
»Nein«, sagte er nach einer Weile, »aber Tabaris Vater gelang es ein paar Jahrhunderte später und aus demselben Stamm. Er nannte den jungen Hengst >Ziyadah<, und dies ist sein Stall.«
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