Blitz und der Brandfuchs
nicht erst, ihn zu fangen, sondern schieße, sowie ich ihn sehe.“
Henry nickte. „Ich hoffe bloß, daß es nicht zu spät sein wird.“
Spät am Nachmittag verließen sie die Versuchsstation und fuhren wieder zum Hafen.
„Zu schade, daß Sie nun Ihr Schiff verpaßt und wir doch nichts erreicht haben“, bemerkte der Polizeibeamte.
„Wir werden nicht aufgeben!“ erklärte Henry. „Welches ist die nächste Insel?“
„Die nächste ist zwanzig Seemeilen von hier entfernt. Sie liegt dort drüben.“
„Der Polizist zeigte nach Nordosten. Alec mußte an den herrlichen Regenbogen vom frühen Morgen denken, der sich genau in dieser Richtung gewölbt hatte.
„Bietet sie Lebensmöglichkeiten?“ fragte Henry.
„Für ein Pferd?“
„Selbstverständlich“, antwortete Henry gereizt. „Etwas anderes interessiert uns nicht!“
„Die Insel hat eine schmale Landzunge, auf der Gras wächst, und dort gibt’s auch einen kleinen Fluß. Der Rest ist nichts als nackter Felsen.“
„Wie heißt diese Insel?“
„Azul. Das spanische Wort für blau. Wie sie zu dem Namen gekommen ist, weiß ich nicht, denn von blauer Farbe ist dort keine Spur.“
Alec sah seinen alten Freund an. „Ich habe ein sonderbares Gefühl, was diese Insel betrifft. Wenn wir eine Barkasse mit einem guten Motor mieten können, sollte die Fahrt hin und zurück an einem Tag zu schaffen sein.“
Der Trainer blickte zu den Fischerbooten hinüber, die im Hafen lagen. „Blitz könnte dort genauso gut sein wie irgendwo anders“, stimmte er zu und fuhr, an den Beamten gewandt, fort: „Können Sie uns eines der Boote empfehlen, die vermietet werden?“
„Versuchen Sie es mit der Nachteule “, sagte der Polizist und deutete auf eine schwarzgestrichene Motorbarkasse. „Sie ist am stärksten, und ihr Kapitän kennt sich hier am besten von allen aus.“ Alec gefiel alles an dem Schiff außer seinem Namen; Nacht und Finsternis waren Begriffe, die für ihn plötzlich mit dem Vampir zusammenhingen. Und dieser Tollwut-Vampir bedeutete Gefahr für die Pferde, auch für Blitz.
Henry unterbrach seine Überlegungen: „Laß uns die Barkasse mieten, wir haben nichts zu verlieren.“ Alec nickte, ohne zu ahnen, daß sie damit in Lebensgefahr gerieten. Denn in der Kabine der Nachteule schlief der Vampir. Er hatte sich ausgerechnet diese Barkasse ausgesucht, um ungestört den Rest des Tages zu verbringen. Wie gewohnt hing er kopfabwärts an der Decke, zum großen Teil von den grauen Flughäuten verdeckt. So schlief er ruhig, bis die Nacht kam. Dann würde er davonfliegen, um sich vom Blut eines anderen warmblütigen Lebewesens zu ernähren.
Herr der Herde
Blitz hatte drei Tage gewartet, bis der dumpfe Schmerz in seinem Huf nachließ. Obwohl er allmählich ungeduldig wurde, blieb er an seinem Standort; denn er wußte gut, daß ihn der Brandfuchs zu gegebener Zeit zum Kampf stellen würde. Seine großen Augen waren so scharf wie die eines Adlers, wenn er seine jungen Stuten beobachtete, von denen wohl keine einzige bisher die Freiheit genossen hatte. Mit geblähten Nüstern warf der Hengst bisweilen den Kopf mit der üppigen Mähne auf und stieß ein hohes, signalartiges Wiehern aus. Er hatte ja diese wundervolle Freiheit schon früher gekostet; er liebte den stürmischen Wind und das saftige grüne Gras — nichts Schöneres gab es als die Weite und das Glück des Freiseins!
Dennoch verdankte der Hengst alle seine hervorragenden Eigenschaften dem Zusammenleben seiner Vorfahren mit den Menschen. Die Wüstenbeduinen hatten sie zielbewußt auf Ausdauer, Schnelligkeit und Intelligenz gezüchtet für ihre Kriegszüge in der Wüste. Viele Generationen hindurch hatten sie, auf der Suche nach dem „vollkommenen Pferd“, nur immer die besten Hengste und Stuten miteinander gepaart. Und ihn, Blitz, hätte man als Beispiel dafür nehmen können, daß ihr Wunschbild Wirklichkeit geworden war, und daß sie ihr Zuchtziel erreicht hatten. Blitz besaß alles: den vollendet schönen Körperbau, die Schnelligkeit, die Klugheit und den Mut.
Dieses Land hier war neu für ihn; trotzdem wußte er, daß das Gras nahrhaft war. Doch eingedenk seiner früher in der Wildnis gesammelten Erfahrungen vermied er es, sich den Magen mit dem fetten Gras zu füllen. Er wußte nur zu gut, daß er nicht satt und faul werden durfte, wenn er den Kämpfen, die ihm bevorstanden, gewachsen sein wollte.
Es bedurfte keines besonderen Scharfblicks, um zu sehen, daß schon zahlreiche andere
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