Blitz und Vulkan
zurück, als der Hengst zu tänzeln begann und dann in einen leichten Trab fiel. Henry ging zum Außenzaun und lehnte sich dagegen, die Augen wie gebannt auf Roß und Reiter. Er sah, wie der Junge die Hände etwas weiter unten an den Hals des Hengstes legte, als er sich zurücklehnte. Gehorsam ging das Pferd näher an den Innenzaun heran und fiel in einen langen, weitausgreifenden Galopp, als sie die Tribünen passierten. Henry wußte, daß Alec ihn voll in der Gewalt hatte; bis jetzt entsprach er jedem Kommando.
Der Hengst legte sich in den unteren Bogen, seine Sprünge wurden immer länger. Den Kopf hielt er hoch, die Ohren straff gespitzt. Aber es war kein Zeichen seiner unbändigen Wildheit zu bemerken. „Gar nicht unmöglich, daß Alec es schafft“, murmelte Henry.
Jetzt erreichten die beiden den oberen Bogen, der in die Zielgerade führte. Henry konnte Alec nicht sehen, weil ihn die dichte flatternde Mähne verdeckte. Die Galoppsprünge des Hengstes waren raumgreifend und völlig mühelos. Sein Kopf ging immer noch neugierig spähend nach links und rechts. „Man könnte meinen, sie ritten aus Spaß und Spiellust“, murmelte Henry. „Trotzdem kommt er rasch voran, ohne sich im geringsten anzustrengen.“ Seine Hand faßte nach der Stoppuhr. „Sollte Alec tatsächlich dieselbe Kontrolle über ihn haben, wenn die anderen dabei sind, dann gibt das ein Rennen, wie noch niemals eins gelaufen worden ist.“
Inzwischen waren sie beim unteren Bogen angelangt. Als sie bei Henry vorbeikamen, winkte Alec herüber. Der Hengst flog mit fast waagerecht hinterherwehendem Schweif die Gerade herunter. Als sie in den oberen Bogen gingen, bemerkte Henry, daß Blitz ernsthaft loszulegen begann, und daß Alec ihm jetzt den Willen ließ.
Das Hin- und Herwerfen des Kopfes hatte nun aufgehört; der Hengst raste in voller Karriere in die Gerade; seine Bewegungen waren atemberaubend schön. Henry drückte den Knopf seiner Stoppuhr, als Blitz die 1000-Meter-Marke passierte, und hielt die Uhr an, als er am 300-Meter-Pfahl vorbeiflog. Dann las er die Zeit ab: „Genau 43 Sekunden für 700 Meter“, sagte er laut.
Noch einmal sauste Blitz mit donnernden Hufen an Henry vorüber. Alec winkte ihm nicht zu; er war jetzt bemüht, den Hengst anzuhalten. Aber erst, als sie den unteren Bogen wieder erreicht hatten, verlangsamte sich der Galopp allmählich, ging in Trab und schließlich in Schritt über.
Henry sah noch einmal auf seine Uhr, um sich zu vergewissern, daß er sich nicht geirrt hatte. Aber es stimmte! Somit blieb jetzt kein Zweifel, daß auch Vulkan diese 700 Meter nicht schneller hätte laufen können, als Blitz sie soeben gelaufen war. Er blickte Alec entgegen, als er den Hengst jetzt langsam um den oberen Bogen brachte.
Es ist kaum zu glauben, dachte Henry, aber der Junge hat recht: Blitz besitzt noch dieselbe märchenhafte Schnelligkeit wie als Dreijähriger. Die Frage ist einzig die, ob er laufen oder ob er kämpfen wird. Und darauf kann niemand eine Antwort geben, ehe die anderen Hengste hier eingetroffen sind. Niemand! Nicht einmal Alec!
Blitz und Vulkan
Die Woche verstrich, und Henry beobachtete jeden Tag staunend, wie gut Alec mit Blitz beim täglichen Training fertig wurde. Er entdeckte, wie er selbst mehr und mehr an die Möglichkeit zu glauben begann, daß der Hengst tatsächlich das große Rennen mitmachen könnte. Es war eindrucksvoll zu sehen, wie Alec das riesige Tier in der Gewalt hatte. Die Begeisterung und der Optimismus des Jungen übertrugen sich auf Henry. Nur wenn er allein war, mahnte sich der alte Trainer immer wieder, daß es noch viel zu früh war, um optimistisch zu sein, weil des Hengstes Bereitwilligkeit, zu tun, was Alec wünschte, gar nichts zu bedeuten hatte, solange er nicht die Witterung anderer Hengste in die Nase bekam. Henry sah daher mit äußerster Spannung den kommenden Ereignissen entgegen, im Grunde jedoch mit einem Gefühl des Unbehagens. Was würde sich ereignen, wenn die anderen kamen?
Er erhielt die Antwort noch einen Tag früher, als er sie erwartet hatte.
Er war mit Alec zum Abendessen in die Stadt gefahren. Bei ihrer Rückkehr sahen sie einen Pferdetransporter vor sich herfahren. „Kann das Vulkan sein?“ fragte Alec neugierig.
„Nein! Er kommt morgen früh mit der Bahn. Es muß einer von den anderen sein, ich vermute El Dorado.“
„Der Südamerikaner?“
Henry nickte, fuhr hinter dem Wagen her bis zum Haupteingang und überholte ihn, als er vor dem Rennbüro
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