Blitze des Bösen
steigen. Schon der Gedanke daran erregte ihn. In einer plötzlichen
Eingebung kam ihm die Idee, ob er mit dem Burschen, der ihm
folgte, nicht vielleicht dasselbe anstellen sollte wie zuvor mit
Joyce Cottrell. Dieser Gedanke erregte ihn noch mehr. Er
spürte schon ein Kribbeln zwischen den Beinen, als auf einmal
das Telefon schrillte. Das unerwartete Geräusch erschreckte
ihn so sehr, daß er fast das Cola umgeworfen hätte, das er
gerade trank.
»Bist du’s?« fragte seine Mutter, als er den Hörer nach dem
dritten Läuten abnahm. In ihrer Stimme schwang ein derart
vorwurfsvoller Ton mit, daß ihm das sofort auf den Magen
schlug. Wußte sie etwa, was er getan hatte? Aber woher?
Während sie weitersprach, legte sich jedoch seine Furcht. »Ich
habe bei Boeing angerufen. Sie haben mir gesagt, daß du heute
schon wieder nicht zur Arbeit gekommen bist. Ist mit dir alles
in Ordnung?«
»Mir geht’s gut, Ma«, antwortete er. Da fiel ihm ein, daß
man ihn ja für krank hielt. »Ich will sagen, ich hab mich
schlecht gefühlt, aber jetzt geht’s mir wieder etwas besser.«
»Du warst nicht zu Hause, als ich vorhin angerufen habe«,
warf ihm seine Mutter vor. »Bist du beim Arzt gewesen?«
»Nein, Ma.« Er kam sich vor wie im Alter von zehn Jahren,
als ihm seine Mutter vorgeworfen hatte, er würde eine Krankheit vortäuschen, um nicht in die Schule gehen zu müssen.
Dabei hatte er 39 Grad Fieber gehabt. »Ich hab mir Suppe
gekauft. Hühnersuppe.«
»Dann frag mich bloß nicht, ob ich zu dir komme und sie dir
koche. Hast du heute morgen schon in die Zeitung geschaut?«
Sein Herz begann zu hämmern. »Weshalb?«
»Wegen der Frau. Wegen der, die man gestern nacht bei dir
ermordet hat. Kennst du sie?«
Die Brust des Schlächters schnürte sich zusammen, als ob
jemand einen Draht darum gezogen hätte. »Warum hätte ich sie
kennen sollen?« Trotz seines Bemühens, mit fester Stimme zu
sprechen, klang er doch, als fühle er sich ertappt.
»Sie hat doch in der Straße dir gegenüber gearbeitet. Und sie
hat in der Straße oberhalb von dir gewohnt.«
Seine Schläfen pochten. »Ich hab sie nicht gekannt, Ma. Und
ich hab ihr auch nichts getan! Ich schwöre es! Warum läßt du
mich nicht in Ruhe?« Ein Schluchzen verschieß ihm die Kehle,
und er knallte den Hörer auf. Sein Hochgefühl von vorhin war
ihm gründlich vergangen. Wie konnte sie es herausgefunden
haben? Ob sie die Polizei anrufen würde?
Natürlich würde sie das – sie liebte ihn ja nicht! Sie hatte ihn
nie geliebt, sondern immer nur seinen Bruder!
Er schritt in seiner Wohnung auf und ab und überlegte, was
zu tun sei. Als das Telefon zum zweiten Mal klingelte, blieb er
wie angewurzelt stehen. Der Schweiß rann ihm in Strömen
herab – ein eiskalter Schweiß, der seinen ganzen Körper
bedeckte. Seine Füße drohten einzuknicken.
Sollte er ans Telefon gehen oder es einfach klingeln lassen?
Wenn seine Mutter wieder dran wäre!
Oder sogar die Polizei? Was wäre, wenn seine Mutter sie
benachrichtigt hätte und jetzt die Polizei anrief? Aber das
würden sie nicht tun! Oder doch? Wenn sie ihn haben wollten,
dann würden sie doch gleich kommen und ihn verhaften!
Also war nicht die Polizei am Telefon, sondern seine Mutter.
Sie mußte es sein, denn sonst rief ihn ja niemand an!
Mit zitternden Knien ging er zum Telefon und nahm ab.
»Hallo?«
Keine Antwort.
»Hallo?«
Das leise Klicken verriet ihm, daß jemand am anderen Ende
aufgehängt hatte.
Seine Angst wurde panisch. Sein erster Gedanke war, aus
der Wohnung zu rennen, in sein Auto zu steigen und wegzufahren. Weg von Capitol Hill, weg von der Polizei, weg von
seiner Mutter, weg aus Seattle. Aber wohin? Es gab nirgendwo
einen Ort, an den er hätte flüchten können.
Außerdem stand die Polizei wahrscheinlich schon draußen,
umstellte das Haus und wartete, bis er herauskam. Er ging zum
Fenster und schaute hinaus. Sein Herz schlug so laut, daß es
ihm in den Ohren pochte.
Auf der Straße war nichts Auffälliges zu entdecken.
Aber so gingen sie doch immer vor! Die würden sich nicht
einfach vor das Haus stellen, sondern ihre Wagen um die Ecke
parken, wo er sie nicht sehen konnte. Und die Polizisten selbst
lauerten in ihrem Versteck!
Schwer atmend wandte er sich vom Fenster ab. Er mußte
nachdenken, mußte alles genau überlegen! Was könnte seine
Mutter ihnen erzählt haben?
Wieder ging er in der Wohnung auf und ab; das Zimmer
schien mit jedem Schritt zu schrumpfen. Die Wände des
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