Blitze des Bösen
ihrem
Schreibtisch neben dem Fenster gesessen und über einer
Geometrieaufgabe gebrütet hatte. Die Lichter nebenan waren
an- und ausgegangen, um damit praktisch überdeutlich zu
verkünden, daß das Haus leer stand.
Heather überkam ein eigentümliches Frösteln, als eine vage
Erinnerung in ihr aufstieg. Bis jetzt hatte sie überhaupt nicht
daran gedacht, aber nun…
Jemand war auf dem Bürgersteig gewesen.
Nicht vor dem Haus, sondern gegenüber. Ein Mann mit
einem dunklen Mantel. Sie hatte ihn nicht genau gesehen. Er
war einfach die Straße entlangspaziert, dann aber
stehengeblieben, und eine Sekunde hatte Heather gedacht, er
würde zu ihr hoch sehen. Dann war er weitergegangen.
Obwohl, sie noch einige Male aus dem Fenster geschaut hatte,
war er nicht wieder aufgetaucht.
Zumindest glaubte sie das.
Was wäre, wenn sie tatsächlich den Mörder Mrs. Cottrells
gesehen, aber nichts unternommen hatte? »Um Himmels willen«, hauchte sie. »Vielleicht hätte ich sie retten können…«
»Was?« fragte Rayette, »wovon redest du?«
Heather schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und
berichtete den beiden anderen, was sie gesehen hatte. »Und
wenn er es wirklich war? Wenn er später doch noch zurückgekommen ist?«
»Und was ist, wenn er dich gesehen hat?« kam Rayette
plötzlich in den Sinn, und sie schaute sich auf der Straße um,
als würde sie damit rechnen, einen Fremden im schwarzen
Mantel zu entdecken, der sie von irgendwoher beobachtete.
»Gehen wir lieber rein.« Sie warf noch einen letzten Blick auf
das Haus, das jetzt vollends unheimlich wirkte, und war auf
einmal froh, sechs Blocks entfernt zu wohnen, obwohl die
Gegend dort nicht so schön war. Rayette ging zur vorderen
Veranda und griff in einen Übertopf, der in der Ecke stand, um
den Schlüssel herauszufischen, den die Jeffers, wie sie wußte,
dort deponiert hatten. Als ihr bewußt wurde, was sie getan
hatte, erstarrte sie. Noch einmal schaute sie auf die Straße
zurück und war erleichtert, als sie dort nach wie vor niemanden
sah, der sie hätte beobachtet haben können. Als sie sich
umdrehte, fing sie sich einen verächtlichen Blick Kevins ein.
»Prima! Prima! Warum erzählst du nicht gleich in der
ganzen Stadt herum, wo wir unseren Schlüssel verstecken?«
Heather kam ihr sofort zu Hilfe. »Das weiß die ganze Stadt
wahrscheinlich sowieso. Und in Zukunft lassen wir ihn auch
nicht mehr hier draußen.«
Kevin rollte mit den Augen. »Wenn der Bursche dich wirklich gesehen hat, kriegt er dich so oder so«, ergriff er die Gelegenheit, seiner Schwester gehörig Angst einzujagen. »Ich
wette, der hat dich schon den ganzen Tag im Visier.«
»Halt die Klappe!« warnte ihn Heather, nahm Rayette den
Schlüssel ab und steckte ihn ins Schloß. »Halt bloß endlich die
Klappe!«
»Von dir laß ich mir gar nichts sagen!« fauchte er im Flur
zurück. Heather schloß die Tür und schob den Riegel vor.
»Angsthase, Angsthase«, sang er und setzte sich auf den
Boden, um Boots den Bauch zu streicheln. Er war seinem
Herrchen zur Begrüßung entgegengestürmt und lag jetzt auf
dem Rücken vor ihm und bebte am ganzen Körper vor Freude.
»Heather ist ein Angsthase!«
»Hör endlich mit dem Gequatsche auf«, sagte sie zu ihrem
Bruder, ging in die Küche und bat Rayette: »Mach du mal ein
paar Coladosen auf, ich geh inzwischen Kumquat füttern.«
Kevin sah seine Schwester böse an. »Das sag ich Dad, daß
du mir verbietest zu reden«, drohte er. »Dad?« brüllte er nach
oben, »he, Dad!«
Sein Vater antwortete aus dem Wohnzimmer: »Hier bin
ich!« Die beiden Mädchen gingen ins Eßzimmer, Kevin zu seinem Vater. Boots tollte hinter ihm her.
»Was hast du jetzt vor?« wollte Rayette wissen und nahm
zwei Coladosen aus dem Kühlschrank.
»Wie? Was soll ich denn vorhaben?« fragte Heather und
machte eine Dose Katzenfutter auf.
»Na wegen dem Mann, den du gesehen hast.« Rayette
schenkte das Cola in zwei große Gläser, dann ließ sie sich auf
einen der Stühle beim Küchentisch fallen. »Was ist, wenn
Kevin recht hat?«
Heather schüttete einige Brocken Friskies in Kumquats
Schälchen. »Er hat mich gar nicht gesehen«, sagte sie und verlieh ihrer Stimme weit mehr Überzeugung, als sie fühlte.
»Aber falls doch?« hakte Rayette nach. »Ich meine, was ist,
wenn…«
»Ich will nicht darüber reden!« Heather stellte die Schale auf
den Boden. Dann wunderte sie sich, denn Kumquat strich ihr
gar nicht um die Beine, wie sie das sonst
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