Blogging Queen - Profijt, J: Blogging Queen
eigentlich war es so gedacht, dass ich ihn später bei der Party sehen sollte. Warum also sollte die geheimnisvolle
Millie die Frechheit besitzen, den Meister direkt nach seiner Show im Backstage-Bereich zu stören?
Aber dann würde seine Neugier siegen.
Aha, der Privatsekretär oder Assistent, oder wie immer sich der junge Mann, der die Reinkarnation eines olympisch gestählten
antiken Griechen sein könnte, nennenmochte, kehrte zurück und forderte mich auf, ihm zu folgen. Stefan und ich setzten uns gleichzeitig in Bewegung, der Jüngling
zuckte kurz, als hätte die Einladung nur für mich gegolten (was wohl so war, denn ich hatte auch nur für mich um ein dringendes
Gespräch unter vier Augen gebeten), nickte dann aber und ging voraus.
Ich folgte ihm, Stefan folgte mir. Wie es ihm ging, wusste ich nicht, ich jedenfalls war beinahe von Sinnen vor Aufregung.
Innerlich vollführte ich Luftsprünge, schrie vor Erwartung, zitterte am ganzen Körper. Unsichtbar. Sichtbar war die etwas
zu klein geratene Frau mit dem etwas zu dicken Hintern und der viel zu großen Nase, die auf unglaublich hohen Absätzen erhobenen
Hauptes hinter dem Jüngling herstolzierte. Das Becken leicht nach vorn geschoben, die Hüften ohne das geringste Wiegen, die
Ellbogen fest am Körper. Das Portal öffnete sich, der Jüngling winkte uns hindurch und …
Und da war er. Sein silbriger Zopf war das Erste, was mir ins Auge fiel, dann drehte er sich um. Der hohe, steife Kragen hemmte
die Kopfbewegungen, aber dann erblickte Karl mich und kam mit ausgestreckten Armen auf mich zu. Schnell drückte ich auf den
Auslöser des Fotoapparates, der, in einem Kugelschreiber versteckt, diesen magischen Moment festhielt. Den hatte Stefan mir
geliehen, damit ich unauffällig Fotos aus allergrößter Nähe machen konnte. »Die kommen immer wahnsinnig authentisch rüber«,
hatte er gesagt und mich schwören lassen, dass ich das gute Stück wie meinen Augapfel hütete. Dieser Kugelschreiber-Fotoapparat
war nämlich nicht mit denen zu vergleichen, die man für sechzig Euro in Versandhauskatalogen kaufen konnte. Dieser hier war
ein echtes Spionage-Werkzeug.
Hinter mir hörte ich Stefans Kamera ununterbrochen klicken. Ich war sicher, dass er jedes Detail des geordneten Chaos festhielt.
Die Models, die sich zum Teil bereits auszogen oder abschminkten, zum Teil aber auch noch für andere Fotografen posierten.
Die Designer, die Make-up-Artists und die Assistenten, die Champagner tranken. Die Kleiderständer voller Couture, einige achtlos
über Stuhllehnen geworfene Stücke. Ich war sicher, hier würde er all seine Backstage-Fotos ersetzen können, die die torfnasigen
Beamten des Finanzamtes von seiner Festplatte gelöscht hatten.
»Millie? Wie schön, Sie kennenzulernen.«
Karl war herangekommen, gab mir ein Küsschen links, Küsschen rechts. Er ließ nicht erkennen, ob er sich über meinen Aufzug
wunderte oder ob die Federn meiner Brille ihn gekitzelt hatten.
»Aber wir kennen uns doch – nur nicht unter meinem Blog-Pseudonym«, flüsterte ich.
Karl blickte leicht irritiert, vielleicht versuchte er, hinter der Verkleidung die echte Frau zu erkennen oder sich sonst
wie an mich zu erinnern, was natürlich vollkommen unmöglich war.
»Äh ja, natürlich. Sie bleiben doch zur Party?«
Und dann geschah es. Karl trat einen Schritt zur Seite, nahm meinen rechten Ellbogen und zog mich zwei Schritte mit sich,
um Platz zu machen für eine Gruppe von Menschen, die an uns vorbei wollte. Mein Blick fiel auf die Stelle, an der er eben
noch gestanden hatte. Eine Bewegung dort lenkte meine Aufmerksamkeit auf den Mann, mit dem Karl kurz zuvor noch gesprochen
hatte.
Mein Blut gefror zu Eis. Diesen Mann dort kannte ich besser, als mir lieb war. Und erst recht sein Cordjackett.Der Mann war Frank Stahl. Was zum Teufel hatte das Düsseldorfer Landeskriminalamt auf der wichtigsten Modenschau der ganzen
Saison in Paris zu suchen?
Leider blieb mir keine Zeit, mich mit dieser Frage zu beschäftigen, denn ab diesem Moment zählte nur die Flucht.
»Wir müssen verschwinden«, zischte ich Stefan zu, der direkt hinter mir stand und über meinen Kopf hinweg fotografierte.
»Keinesfalls«, brummte er. »Ich bin noch lange nicht fertig.«
»Was sagten Sie?«, fragte Karl.
»Nichts, Entschuldigung, ich hatte nur eine kurze Frage an meinen Fotografen.«
Karl nickte. Dann wurde er von einer Frau angesprochen und drehte sich
Weitere Kostenlose Bücher