Blogging Queen - Profijt, J: Blogging Queen
leider nicht. Ich dankte der Vorsehung, die mich in den letzten Wochen auf vielen Spaziergängen mit Sergeant Pepper trainiert
hatte, obgleich ich mich mit ihm niemals so beeilen musste. Ich bekam Seitenstiche und wollte schon aufgeben, aber dann wäre
ich wirklich zur Obdachlosen geworden, das war also keine Alternative.
Fünf Minuten vor Abfahrt des Zuges kam ich völlig außer Atem am Bahnhof an.
In meinem inzwischen getrockneten Designer-Outfit eilte ich in die große Halle, schaute auf der Anzeigentafel nach, auf welchem
Gleis der Thalys abfuhr, und eilte los. Sicher wäre Stefan schon hier oder käme jeden Moment, dann könnten wir zusammen einsteigen
und …
Ich erstarrte. Dort stand Stefan auf dem Bahnsteig, der große Rucksack, in dem sich meine Habseligkeiten undmein Ticket befanden, stand zu seinen Füßen. So weit, so gut. Doch neben ihm stand Kommissar Frank Stahl.
War dieser Kerl ein Zauberer, oder was? Aber nein, das war gar nicht nötig. Stahl hatte alle Zeit der Welt gehabt, im Präsidium
auf die verschwundene Zeugin zu warten und sich dann von den französischen Kollegen per Streifenwagen zum Bahnhof fahren zu
lassen, während ich zu Fuß durch die Stadt hetzte und mir Blasen an den Füßen lief.
Was nun? Stahl durfte mich nicht sehen, aber ich musste in diesen Zug. Ich versteckte mich hinter der Infotafel mit der Wagenstandsanzeige
und versuchte, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken.
Ich konnte Stahl nicht hier in Paris gegenübertreten, dann wäre alles aus. Selbst wenn man von meiner falschen Identität und
dem Blog einmal absah, hatte ich ihn beim letzten Treffen wieder massiv angelogen. Ich hatte geleugnet, mich für die Modewelt
zu interessieren. Ich hatte ihm verschwiegen, dass ich zu Karls Show fuhr, selbst, nachdem Stahl mir erzählt hatte, dass Funk
sich offenbar neuerdings in der Haute Couture herumtrieb. Dann hatte er mich (oder vermutlich meine Nase) bei Karl erkannt,
und ich war vor ihm davongelaufen. So konnte er wenigstens nicht sicher sein.
Wenn ich ihn das nächste Mal in Düsseldorf sah, könnte ich alles leugnen. Ich? In Paris? Aber nein, wie kommen Sie denn darauf?
Aber hier auf dem Bahnsteig oder im Zug nach Hause konnte ich nichts leugnen. Hier würde die ganze Wahrheit ans Licht kommen.
Er durfte mich nicht sehen.
Vorsichtig linste ich um die Infotafel herum. Keine Spur von Stefan, keine Spur von Stahl. Gut. Die beiden waren sicher endlich
eingestiegen. Ich drehte den Kopf leichtnach links, entdeckte ein Paar deutsche oder belgische Touristen (sie trugen Sonnenmützen mit schwarz-rot-goldenem Muster),
hinter denen ich herschleichen wollte, und wartete, bis sie auf gleicher Höhe mit mir waren, dann machte ich einen Schritt.
Im selben Moment spürte ich die Hand auf meiner Schulter.
Ich erstarrte. Das Auge des Gesetzes hatte mich entdeckt.
»Mensch, Lulu, wie siehst du denn aus?«, flüsterte mir eine Stimme ins Ohr.
Stefan!
Ich wirbelte herum und warf mich an seine Brust.
»Na, das ist doch mal eine Begrüßung«, flüsterte er mit einem schlecht unterdrückten Kichern. Er packte mich an den Schultern
und schob mich von sich.
»Hier, dein Zeug.« Er drückte mir eine Plastiktüte in die Hand. »Geld ist drin, Ticket und Haustürschlüssel auch.«
»Was ist mit Stahl?«, flüsterte ich zurück.
»Er sitzt ein paar Reihen hinter mir. Am besten suchst du dir einen Platz in einem anderen Waggon.«
Ich nickte.
»Hat Stahl mich erkannt?«, fragte ich.
»Nein«, sagte Stefan. Ein breites Grinsen legte sich über sein Gesicht. »Jedenfalls nicht alles. Nur deine Nase kam ihm bekannt
vor.«
»Was hast du ihm gesagt?«
»Erkläre ich dir später. Nimm dir in Düsseldorf ein Taxi und geh auf keinen Fall ans Telefon!«
Ich nickte verwirrt.
»Auf keinen Fall, hörst du?«
Er drehte sich um und eilte zu seinem Waggon, ich lief mit gesenktem Kopf in die andere Richtung und stieg amvorderen Ende in den Zug. Die Aufregung und die Vorbereitungen der letzten Tage und die heutigen Katastrophen hatten mich
geschafft. Ich schlief fast auf der Stelle ein.
Der Rest der Rückreise verlief verhältnismäßig unproblematisch, wenn man von den Blasen an meinen Füßen absah, die mir das
Umsteigen in Köln zur Qual machten. Meine zerzauste Erscheinung erweckte außerdem das Misstrauen des Taxifahrers, der mich
erst einsteigen ließ, nachdem ich ihm gezeigt hatte, dass ich das nötige Geld für die Fahrt zu Sabines Wohnung
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