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Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)

Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)

Titel: Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Reid
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Geschäftsführerin hat früher auf dem Markt Gemüse aus einem Korb verkauft. Ihr einziges Verdienst ist, soweit ich es beurteilen kann, ihr Parteiausweis. Statt den Nachschub zu verbessern, verbringt sie ihre Zeit damit, Freunde am Hintereingang zu bedienen. Das ganze 25. Milizrevier erhält seine Rationen dort hinten, ohne Schlange stehen zu müssen. Dort braten die Polizisten das neu gelieferte Fleisch und trinken Wein dazu … Der Laden liegt in einer Seitenstraße, weshalb er nie inspiziert wird. Aber was könnte ein Inspekteur tun? Er hat ebenfalls Hunger und würde seinen eigenen Vater für ein Stück Fleisch verkaufen. 12
    Auch an diesem Tag musste Schilinski auf jegliche Nahrung verzichten, obwohl er von fünf bis neunzehn Uhr gewartet hatte.
    Der Effekt derartiger Erfahrungen auf die öffentliche Meinung war vorhersehbar. »Während sich die Stimmung der Stadtbevölkerung in den ersten Tagen nach dem Anstieg der Brotnormen verbesserte«, stand in einem Parteibericht vom 9. Januar, »lassen große Teile der Bevölkerung seit Kürzerem Verzweiflung und Depression erkennen. Das ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass noch keine Lebensmittel auf die Januarkarten ausgegeben worden sind und dass viele Menschen nicht einmal Fleisch, Zucker oder Getreide für das letzte Drittel oder die letzten zwei Drittel des Monats Dezember haben abholen können.« Als typisch galt der folgende Wortwechsel zwischen zwei Frauen, die vor einem Laden am Internationalen Prospekt warteten:
    »Im Rundfunk hören wir immer, dass die Bevölkerung von Leningrad tapfer und heldenhaft alle Not erträgt. Aber was kostet diese Tapferkeit? Täglich sterben immer mehr Menschen an Hunger! Der Tod – das ist das Ende unserer Tapferkeit. Weiß die Regierung, wie viele Menschen sterben?«
    »Offensichtlich hat unsere Regierung nicht genug Lebensmittel für uns. Gewöhnliche Menschen sterben, aber niemand aus der Regierung stirbt. Sie sind gut genährt, sie machen sich nichts aus uns.«
    Andere Personen, die in Hörweite in der Schlange standen, hätten den Frauen nicht widersprochen, sondern mitfühlend geschwiegen. Kurz darauf habe der Geschäftsführer bekanntgegeben, dass er nichts verkaufen könne, woraufhin die Menge wütend aufgebrüllt habe. Der Mann habe den Menschen geraten, zum Bezirkssowjet zu gehen, wo »es Leute gibt, die etwas tun sollten«.
    Auch eine Rationserhöhung um fünfzig Gramm für Nichthandarbeiter vom 24. Januar erwies sich als illusorisch. Während Mehl mittlerweile ziemlich regelmäßig über die Eisstraße eintraf, war die Wasserversorgung der Bäckereien zusammengebrochen, weshalb Ende Januar und Anfang Februar mehrere Tage lang fast kein Brot verteilt wurde. Als der Geschäftsführer eines Brotladens am Sowetski-Prospekt verkündete, er habe nur genug Brot für ein paar Dutzend Menschen, explodierte die Menge vor Raserei und schrie: »Sie tun mit uns, was sie wollen! Gestern haben sie die Ration erhöht, und heute nehmen sie das ganze Brot weg!«; »Sie stehlen uns unsere letzten Rationen. Was wollen sie wirklich? Dass wir alle wie Tiere sterben!«; »Sie stopfen uns den Mund mit diesen fünfzig Gramm, aber man muss fünf Stunden in der Kälte anstehen, um sie zu bekommen!«; »Es herrscht Krieg, und deshalb denken sie, dass auch Zivilisten sterben sollten!« 13 Ein Buchhalter im Komödientheater wurde bei der Aussage belauscht: »Die Menschen sterben, aber Schdanow wird Kakao ans Bett gebracht.« Beunruhigenderweise ist sein Name in Schdanows Exemplar des Berichts unterstrichen. 14
    Am 13. Januar erklärte Pjotr Popkow, der Vorsitzende des Stadtsowjets, in einer Rundfunkrede, das Schlimmste sei vorbei und die Lebensmittelversorgung verbessere sich. Ein Ingenieur hielt solche Äußerungen zu Recht für »leere Worte mit dem Ziel, die Bevölkerung zu beschwichtigen«. 15 Tatsächlich hatte Popkows Rede den gegenteiligen Effekt. Die Bemerkungen aus der Menge vor einem Laden auf dem Platz der Diktatur des Proletariats (passenderweise zu »Platz der Diktatur« abgekürzt) fielen bissig aus: »Natürlich hat Popkow genug zu essen – er hat leicht reden. Ich möchte, dass er hierherkommt und sieht, wie wir frieren«; »Dauernd sagen sie, dass die Dinge besser werden. Aber wie denn eigentlich? Ich warte seit vier Stunden auf Brot, und kein Anzeichen davon ist zu erkennen«; »Schöne Worte von Popkow – er ist satt und füttert uns mit Versprechen«; »Bald werden sie uns auf den Friedhof in Wolkowo evakuieren«. 16

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