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Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)

Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)

Titel: Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Reid
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Buntowschtschik (»Rebell«) unterzeichnete, hinterließ häufig Bündel von Aufrufen, handgeschrieben auf Kopierpapier, im Moskauer Bahnhof, und er schickte sie auch direkt an Popkow und Schdanow. Trotz ungewöhnlicher Fahndungsbemühungen – zum Beispiel identifizierte man sämtliche Verkaufsstellen für einen gewissen Typ Briefumschlag und überprüfte die Handschrift von 13000 Personen – entzog er sich dem Zugriff der Behörden fast zwei Jahre lang. Als man ihn schließlich aufspürte, hatte man es mit einem gewöhnlichen fünfzigjährigen volksrussischen Arbeiter in der Stahlgießerei des Bolschewik-Werks zu tun. Er wies nur ein einziges verdächtiges Merkmal auf: »Verwandte in Polen«. »Was war Luschkows offizielle Stellung in der Werkstatt?«, schrieb Schdanows Stellvertreter Alexej Kusnezow wütend auf den Fallbericht. »Und was wusste die Parteiorganisation über ihn? Bitte überprüfen und mich mündlich in Kenntnis setzen.« 23

 
    17
    Das Große Haus
    Abgesehen von Flugblättern und zwei nicht nachweisbaren Demonstrationen, verwandelte sich der öffentliche Zorn nie in einen organisierten Aufstand. Dies lag teilweise daran, dass man das bekannte Übel dem unbekannten vorzog. Leningrader mochten Angst vor ihren eigenen Führern gehabt und ihnen misstraut haben, aber während Geschosse um sie herum einschlugen und Nachrichten über die Verwüstung in den gerade befreiten Orten und Dörfern in der Moskauer Umgebung durchdrangen, lernten sie auch, die Nazis zutiefst zu hassen. Dass nicht mehr geschah, lag aber auch an dem Regime selbst. Es war gut informiert, konnte sich auf die aufrichtige Loyalität vieler Bürger (besonders der jungen) stützen, behielt Armee und Polizei fest unter Kontrolle und hatte alle denkbaren institutionellen Unruheherde längst beseitigt. Merle Fainsod, der während des Kalten Krieges über die Sowjetunion forschte, kam zu der Einschätzung, dass Katastrophen und Krisen die schwersten Prüfungen eines politischen Systems darstellen. Folgt man ihm, dann lässt sich aus dem Durchhalten von Leningrad schließen, dass der Sowjetapparat zäh, dauerhaft und fähig war, mächtigen Erschütterungen standzuhalten. Die Belagerung, so Fainsod, sollte den Westen lehren, den sowjetischen Totalitarismus nicht zu unterschätzen. 1
    Man gehe den Liteiny, einen breiten Belle-Époque-Boulevard, der den Newski-Prospekt mit dem Finnischen Bahnhof verbindet, nordwärts hinauf, und man erreicht am Ende der Straße, kurz vor dem Fluss, ein Gebäude, das als Großes Haus bekannt ist – heutzutage die Zentrale des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB) und früher die seiner Vorgänger, des KGB und des NKWD. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts errichtet, ist es starr modernistisch, und seine scharfen Ecken aus poliertem Buntmarmor bilden einen auffälligen Kontrast zu der üppigen Herrlichkeit der um die Jahrhundertwende entstandenen Villenblocks in der Umgebung. Als die Luftangriffe begannen, erinnert sich ein Überlebender der Belagerung, »hofften alle Leningrader inbrünstig, dass Bomben auf das NKWD-Gebäude am Liteiny fallen und sämtliche Unterlagen zerstören würden. Aber das Gebäude mit seinem eindrucksvollen Marmoreingang – enorm und schrecklich – blieb stehen«. 2
    Der Terror war besonders streng in den ersten zwölf Kriegsmonaten, ließ aber auch später nie nach. 3 Den umfassenden Deportationen von Juli und August 1941 folgten kleinere »Säuberungen« im September, November und wiederum im März 1942. Die letztere traf rund hundert Wissenschaftler in einer Vielzahl von Hochschulen. 4 Bis Herbst 1942 hatte man mehr als 9500 Menschen wegen politischer Verbrechen verhaftet; ungefähr ein Drittel davon waren Intelligenzler oder »ehemalige Kulaken, Händler, Landbesitzer, Adlige und Beamte«, die übrigen Bauern und gewöhnliche Arbeiter und Angestellte. 5 Für diejenigen, die vor Militärgerichte – sie ergänzten die regulären Volksgerichte – gestellt wurden, waren die Chancen eines Freispruchs äußerst gering. Nur in sechs Prozent der Fälle wurden Klagen abgewiesen oder Freisprüche verkündet. Die relative Lockerheit der Zivilgerichte (20 Prozent Klageabweisungen und Freisprüche) führte zu Vorwürfen durch den Militärstaatsanwalt. 6
    Dmitri Lichatschow wurde Zeuge des Terrors der Belagerungszeit im Puschkinhaus, wo man Grigori Gukowski verhaftete (derselbe Professor, den Olga Gretschina kritisierte, weil er sich der Einberufung entzog, und der gescherzt hatte,

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