Blokada: Die Belagerung von Leningrad, 1941-1944 (German Edition)
Intelligenzija in die Schranken zu weisen, ihr zu zeigen, dass sie genauso klare Aufgaben hatte wie vor dem Krieg. 23
Der Schlag erfolgte am 15. August in Form einer Resolution des Zentralkomitees der Partei. Achmatowas Werk wurde als »leer und frivol … durchsetzt vom Geruch des Pessimismus und der Verwesung« abgestempelt, das von Soschtschenko als »verfaulter, vulgärer Unsinn«, durch den die Sowjetjugend in die Irre geleitet werden könne. Beide ließen angeblich »hündische Untertänigkeit gegenüber der bourgeoisen Kultur des Westens« erkennen. Eine der beiden Leningrader Zeitschriften, die ihre Werke veröffentlicht hatten, wurde geschlossen, die andere einem Propagandisten des Zentralkomitees unterstellt. Eine Woche später flog Schdanow nach Leningrad, um die beiden Autoren in einer Rede vor dem Schriftstellerverband persönlich anzuprangern. Während die Bedeutung seiner Worte in das Bewusstsein des Publikums eindrang (er beschrieb Achmatowa als »halb Hure, halb Nonne« und Soschtschenko als »trivialen Kleinbürger …, aus dem antisowjetisches Gift hervorquillt«), erstarrten die Zuhörer stumm und »gefroren«, wie eines der Mitglieder es ausdrückte, »im Lauf der drei Stunden zu einem massiven weißen Brocken«. 24 Eine Frau versuchte, den Saal zu verlassen, wurde jedoch daran gehindert und musste wieder in einer der hinteren Reihen Platz nehmen. Niemand sonst protestierte, und ein Antrag, Achmatowa und Soschtschenko aus dem Verband auszuschließen, wurde einstimmig angenommen. Die Versammlung endete um ein Uhr morgens, als die Schriftsteller schweigend die Stufen hinunterstiegen und in die warme Sommernacht hinaustraten. »Genauso schweigend«, erinnerte sich eine Teilnehmerin, »gingen wir die gerade Straße zum leeren Platz entlang und fuhren mit nächtlichen O-Bussen davon. Alles war unerwartet und unverständlich.« 25 Achmatowa selbst schützte majestätische Verachtung vor und behauptete, nichts von der Resolution gewusst zu haben, bis sie den Text in einer verschmierten Zeitung sah, aus der sie gerade ein Stück Hering ausgewickelt hatte. Simonows Interpretation der Angelegenheit wird dadurch gestützt, dass man, trotz Schdanows grauenerregender Rede, weder Achmatowa noch Soschtschenko verhaftete, sondern sie stattdessen wieder zu ihrer Vorkriegsexistenz in Geheimhaltung und Armut verdammte und sie erneut zwang, ihre Notizbücher zu verbrennen und mit Hilfe mutiger Freunde zu überleben. Eine der wenigen Mutigen, die Achmatowa nicht fallenließen, war die viel jüngere Olga Berggolz, die dadurch ihre Mitgliedschaft im Vorstand des Schriftstellerverbands verlor.
Im August 1948 gestaltete sich die Kreml-Politik um, als Schdanow (ohne äußere Einwirkung) an einem Herzinfarkt starb. Malenkow und Berija schoben sich sofort in den Vordergrund, indem sie die nachdrücklich propagierten Maßnahmen gegen die Leningrader Intelligenzija zu einer geheimen Säuberung von Schdanows Protegés im Kreml und in der gesamten Leningrader Partei ausweiteten.
Die sogenannte Leningrader Affäre begann im Februar 1948 mit der Entlassung nicht nur von Alexej Kusnezow, der Schdanow während des Krieges als Stellvertreter gedient hatte, ihm nach Moskau gefolgt war und die Aufsicht über das NKWD übernommen hatte, sondern auch von »Bürgermeister« Popkow, der Erster Parteisekretär Leningrads geworden war, sowie von Nikolaj Wosnessenski, einem scharfsinnigen jungen Ökonomen, der es an Schdanows Rockzipfeln zum Chef der Staatlichen Plankommission gebracht hatte. »Das Politbüro meint«, hieß es in einer Geheimresolution, dass die »Genossen Kusnezow … und Popkow eine krankhafte, unbolschewistische Abweichung [vertreten] haben, die sich in demagogischen Annäherungen an die Leningrader Organisation, in unfairer Kritik am Zentralkomitee … und in Versuchen äußerte, sich selbst als spezielle Beschützer der Interessen Leningrads zu präsentieren«. 26
Obwohl »die Jagd begonnen hatte«, wie Chruschtschow es später formulierte, verhaftete man die Leningrader nicht sogleich, und Wosnessenski wurde sogar noch zu einer von Stalins alkoholtriefenden Mitternachtsmahlzeiten eingeladen. Am 13. August bestellte Malenkow schließlich Kusnezow, Popkow und drei andere in sein Büro und ließ sie bei der Ankunft von seinem Leibwächter verhaften. Wosnessenski schrieb einen kriecherischen Brief an Stalin, in dem er um einen Posten flehte – »Ich habe den Grundsatz des Parteigeistes begriffen … und bitte Sie, mir
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